Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit
gute Wille zum Selbstuntergang als der böse zum Untergang des andern. Und warum Jean Paul Geschichte nicht nur den wahrsten Roman nennt, den er je gelesen, sondern auch den schönsten, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Ebenso warum Goethe – »in einem seiner bekanntesten Worte« (Meinecke) – als das Beste, was wir von der Geschichte haben, ausgerechnet den Enthusiasmus preist, den sie erregt. Die Geistesgeschichte vielleicht, die Kunstgeschichte sicher. Aber die Politik? Das garstige Lied?! 82
Wie auch immer, Thomas Carlyle, »Statthalter Goethes in England«, stellte 1840 in dem programmatisch betitelten
›Heroes and Hero Worship‹
die Weltgeschichte als Geschichte großer Männer dar: Macht gleich Recht. Und in ihrer überwältigenden Mehrheit sahen und sehen es die Berufshistoriker, die eigentlich Staatshistoriker heißen sollten, gewöhnlich ja auch Staatsbeamte sind, nicht anders, sehen viele jeden dieser »großen« Männer reich begabt zur Sünde wie zum Segen, wie Treitschke, der sächsische Generalssohn, rühmt, nicht ohne die moralisierende Nüchternheit zu rügen, »welche Menschengröße nur als das Gegenteil des Frevels zu begreifen vermag« 83 .
Auch ein so verheerender Kopf wie Hegel denkt nicht anders. Kein Wunder bei einem Geist, der sich einerseits fest im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt (die seinem eignen Entwicklungssystem widerstreitet), sich auch für einen gläubigen »lutherischen Christen« und die Weltgeschichte, in seiner Geschichtsphilosophie, für die Verwirklichung der Offenbarung Gottes hält, andererseits als scharfer Verfechter höchst intoleranter Staatsautorität alles Außenseiterische, Abweichende bekämpft, wie gelegentlich den »Wahnsinn der jüdischen Nation«, »dieser mit anderen ... unvereinbaren Nation«, ebenso aber auch alles Aufbegehrende und Schwache haßt, »brandige Glieder«, der »Verwesung nahes Leben«; wobei er kein Vorgehen »mit Lavendelwasser« gutheißt, »keine sanften Gegenversuche«, vielmehr immer wieder die Gewalt glorifiziert, »das
gewaltsamste Verfahren«,
und dem Staat selbst empfiehlt, sich »durch die Gewalt« zu rechtfertigen, denn
»dann unterwirft sich ihm der Mensch«.
Auch der »gemeine Haufe des deutschen Volkes ... müßte durch die
Gewalt
eines
Eroberers
in eine Masse versammelt«, müßte »gezwungen werden, sich zu Deutschland gehörig zu betrachten«. »So sind alle Staaten gestiftet worden durch die erhabne Gewalt großer Menschen.« Entsprechend ist für Hegel der Friede, gar Kants Idee vom ewigen Frieden, ein Alptraum, »auf die Länge ein Versumpfen der Menschen«, ja, »der Tod«. Dagegen hat der Krieg »die höhere Bedeutung«, daß durch ihn »die sittliche Gesundheit der Völker ... erhalten wird, wie die Bewegung der Winde die See vor der Fäulniß bewahrt«. Vom »Militairstand« sagt Hegel klipp und klar, »daß er die Pflicht hat ... sich aufzuopfern«. Doch ist »die Aufopferung« – gern feiner mit »Entäußerung« umschrieben – »für die Individualität des Staates« auch
»allgemeine Pflicht«,
Gehorsam überhaupt, wie schon für Augustin, der Anfang aller Weisheit – tatsächlich, zumal diesbezüglich, oft nur der Anfang des »Helden«todes. »Die wahre Tapferkeit gebildeter [!] Völker ist das Bereitseyn zur Aufopferung im Dienste des Staates.« Und da die Staaten sich sogar im Krieg anerkennen, sogar »im Kriege selbst der Krieg als ein Vorübergehensollendes bestimmt ist« und »die Möglichkeit des Friedens erhalten«, schließt Hegel auch: »Die neueren Kriege werden daher menschlich geführt, und die Person ist nicht« – übrigens typisch christlich, geradezu feldpfaffenhaft gedacht – »in Haß, der Person gegenüber.« Hätte Hegel die Möglichkeit eines ABC-Krieges schon gekannt, hätte er sich sicher einmal mehr bestätigt gesehen. Alles schickt ja Gott zur rechten Zeit. »Die Menschheit bedurfte des Schießpulvers, und alsbald war es da.« Die Menschheit bedurfte des Hegel, und alsbald war er da. Die Menschheit bedurfte menschlicher Kriege, und schon kamen sie. Es geht nichts über einen unerschrockenen Denker, der denn auch rundheraus von den Akteuren der Geschichte schreibt, was sie getan, wirklich getan haben, sei »ihr Ruhm. Solch einem Heros könne man nichts Schlimmeres nachsagen, als daß er unschuldig gehandelt habe. Es ist die Ehre der großen Charaktere, schuldig zu sein.« Bei den »kleinen« ist dies ihre Schmach. Auf sie wartet, sind sie schuldig, nicht selten
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