Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit
was sie schelten?« 70
Augustin wußte, was er sagte; gerade der letzte Satz trifft voll und ganz ihn selbst (vgl. 10. Kap.). Dabei glaube ich durchaus nicht so fest wie Voltaire an eine zeitlose raison universelle. Noch weniger übertrage ich in entfernte Vergangenheiten alle Ideen und Wertmaßstäbe der Gegenwart, was Montesquieu mit Recht, wenn auch übertreibend, »die furchtbarste unter den Quellen des Irrtums« nennt. 71 Doch hat man stets, wenigstens in den letzten 2000 Jahren, Raub, Mord, Ausbeutung, Krieg für das gehalten, was sie waren und sind. Gerade die Christen mußten dies wissen. Gerade sie hatten die stark pazifistisch und sozial geprägte Verkündigung des synoptischen Jesus; sie hatten eine fast dreihundertjährige pazifistische frühchristliche und frühkirchliche Predigt; sie hatten auch die leidenschaftlichen »liebes« kommunistischen Appelle der Kirchenväter und -lehrer noch des 4. Jahrhunderts. Kurz, es gab eine immer christlichere Welt – und in vieler Hinsicht eine immer schlimmere. Denn das Christentum beruht auf verschiedenen Geboten, wie dem Gebot der Nächstenliebe, der Feindesliebe, dem Gebot, nicht zu stehlen, nicht zu töten und auf der Klugheit, keines dieser Gebote zu halten.
Oft belehren uns die Apologeten, die dies im Grund nicht leugnen können, daß da und dann – immer da und immer dann, wo und wann es gerade paßt, welchen Geschichtsabschnitt man gerade bemäntelt – die Menschen eben »noch keine wirklichen Christen« waren! Doch wann waren sie es? Zu Zeiten der greulichen Merowinger, der fränkischen Raubkriege, des lateranischen Weiberregiments? Bei den großen christlichen Offensiven, den Kreuzzügen? Bei der Ketzer-und Hexen Verbrennung, der Indianerausrottung, der (fast zweitausendjährigen) Judenverfolgung? Oder im Dreißigjährigen Krieg? Im Ersten Weltkrieg? Im Zweiten? Im Vietnam-Krieg? Einmal müssen sie doch Christen gewesen sein!?
Der Geist der Zeit jedenfalls war durchaus nicht überall derselbe zur selben Zeit.
Als die Christen ihre Evangelien kolportierten, ihren Glauben, ihre Dogmen, als sie immer weitere Teile der Welt infizierten, gab es sehr wohl Menschen, wie die großen ersten Bestreiter des Christentums, Celsus im 2. und Porphyrios im 3. Jahrhundert, die das Christentum, alles in allem, vernichtend kritisiert und im wesentlichen bis heute recht behalten haben, was immerhin christliche Theologen des 20. Jahrhunderts erklären (S. 212).
Doch begehrten nicht nur Heiden gegen die Christenlehre auf. Zur selben Zeit, als man weithin im Glauben an das Trinitätsdogma lebte und starb, verwarfen es Juden wie Moslems als Provokation ohnegleichen; war für sie auch das Paradoxon von der Menschwerdung Gottes absurd, dies »Unrecht«, diese »Schmach«; sah der islamische Philosoph und Mystiker Al Ghazali (1059–1110) die einander widersprechenden Zweinaturenlehren von Monophysiten, Nestorianern, Orthodoxen nur als Ausdruck von »Unverständlichkeit, ja Dummheit und Geistesschwäche« 72 .
Wie im Denken, so differierten die Menschen derselben Zeit auch im Tun.
Während das Christentum seine monströsen Greuel verbrach, war der Buddhismus, der in Indien keine organisierte Kirche nach Art der abendländischen, auch keine Zentralinstanz schuf, die über den rechten Glauben entschied, sehr viel toleranter. Er forderte von seinen Laienanhängern weder ausschließliche Verpflichtung auf das buddhistische Bekenntnis noch den Austritt aus anderen Religionen, noch nahm er gewaltsame Bekehrungen vor. Vielmehr war für ihn Duldsamkeit gegenüber fremden Konfessionen in anderen Ländern geradezu »charakteristisch« (Mensching). 73
Sein pazifistisches Wirken beweist beispielsweise die Geschichte Tibets, dessen Volk, eine der gefürchtetsten und kriegerischsten Nationen Asiens, unter buddhistischem Einfluß eine der friedlichsten wurde, wobei trotz tiefer Frömmigkeit und einer gutorganisierten geistlichen Hierarchie völlige Toleranz zwischen allen Arten von Glaubensformen und Sekten bestand. Richtig schreibt der Buddhist Lama Anagarika Govinda: »Religionen, die der Individualität des Menschen ihre volle Berechtigung zugestehen, werden automatisch zu Förderern der Humanität. Solche aber, die den Anspruch erheben, im alleinigen Besitze der Wahrheit zu sein, oder die den Wert des Individuums und individueller Überzeugungen geringschätzen, können zu Feinden der Humanität werden, und dies um so mehr, wenn Religion zu einer politischen oder gesellschaftlichen
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