Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
zum letzten Blutstropfen festhalten. Er erinnerte den König immer wieder an seine Versprechen und beschwor ihn, sein Werk nicht unvollendet zu lassen. Ein Klagebrief und Hilfeschrei folgte dem anderen. Dabei bat er, der sich selbst »Mittler zwischen Gott und den Menschen« nannte, Pippin dringend in einem offenen Schreiben, dem Langobardenkönig entgegenzukommen, dem »erlauchten Sohne Desiderius« doch die von ihm gewünschten Geiseln zurückzugeben, während er in einem zweiten geheimen Schreiben drängte, dem Langobarden zu widerstehen, Pippin beschwor, die Geiseln zu behalten – die übliche Doppelmoral der Heiligen Väter.
Es war offensichtlich: Papst Paul, dem sein offiziöser Biograph noch mehr als üblich Neigung zur Milde bescheinigt, wünschte einen weiteren Krieg gegen die Langobarden. Doch Pippin war anderwärts gebunden, durch die Sachsen, durch mehrere Feldzüge gegen Aquitanien, dessen Herzog Waifar er jagte. Und er suchte eine langobardisch-byzantinische Verständigung zu durchkreuzen. 6
Paul I. hatte am 28. Juni 767, von so gut wie allen seinen Nächsten verlassen, kaum die Augen geschlossen, als es in Rom, wie so oft schon (II 3. Kap. und 337 ff.), zu einem Gewaltstreich kam. Bereits am nächsten Tag nämlich drang Toto, der Herzog von Nepi, Haupt einer mächtigen Familie, mit seinen bewaffneten Kolonenhaufen nach Rom und ließ seinen Bruder Konstantin, einen Laien, zu Pauls Nachfolger wählen. Die Gründung des Kirchenstaates, die gesteigerte Machtstellung des Papsttums, machte dieses eben immer interessanter für den Adel.
Konstantin bemächtigte sich des Laterans, erhielt die erforderlichen Weihen und brachte es in sechs Tagen bis zum Papst. Im Petersdom wurde er von den Bischöfen von Palestrina, Albano und Porto feierlich geweiht.
Blitzkarrieren dieser Art sind zwar unkanonisch, aber es gab sie früher und später, und man konnte trotzdem heilig, ja, Kirchenlehrer werden, wie Ambrosius. Acht Tage nach seiner Taufe war er Bischof und hatte noch nicht einmal die Kenntnisse eines gebildeten Laien vom Christentum (I 401). Tarasius, Kaiserin Irenes Geheimsekretär, wurde von ihr 784 vom Laien zum Patriarchen Konstantinopels erhoben und ebenfalls heilig. Die gleiche schnelle Metamorphose machte im Jahre 806 Nikephoros durch den Kaiser gleichen Namens und wird ebenfalls noch heute als Heiliger verehrt. Auch Patriarch Photius, ein Neffe oder Großneffe des Tarasius, durchlief binnen fünf Tagen alle Grade vom Laien bis zum Patriarchen. Und im 10. Jahrhundert stieg Leo VIII. sogar an einem Tag vom Laien zum Papst auf – und gilt doch als rechtmäßiger Papst. 7
Konstantin II. (767–768), wiewohl unrechtmäßig erhoben, drückte immerhin dreizehn Monate lang unangefochten den berüchtigten Thron, führte die Geschäfte, ordinierte Kleriker, präsidierte auch einer hl. Synode. Dann aber erlag er einer Verschwörung Einflußreicher, darunter vor allem der Primicerius Christophorus, sein Kanzler, das Haupt der päpstlichen Beamtenschaft, sowie dessen Sohn, der Sacellarius Sergius. Vom Papst unter Hausarrest gestellt, wollten beide an Ostern 768 in ein spoletinisches monasterium wechseln, in das Erlöserkloster (St. Salvator) in Rieti. Sie verbürgten sich dafür mit einem Eid, flohen aber zum Langobardenkönig. Mit seiner Erlaubnis sammelten sie in Rieti Hilfstruppen, und Ende Juli 768 marschierten diese unter der Führung des Priesters Waldipert nach Rom. Dort öffnete man ihnen ein Stadttor, blutige Straßenschlachten folgten, wobei ein Verräter, eine Kreatur des Christophorus, der Kirchenarchivar Gratiosus, Herzog Toto hinterrücks erstach. Papst Konstantin floh von einer Kirche in die andere, bis man ihn, samt seinem nächsten Anhang, gefangen und eingekerkert hatte. Nun holte Waldipert, der Mann des Desiderius, eiligst den Priester Philipp aus dem Veitskloster (S. Vito) am Esquilin und rief: »Philippus Papa. Der hl. Petrus hat Philipp zum Papst erwählt.« Als Kandidat des Langobardenkönigs sollte er dessen Politik verfechten. Teile von Adel und Klerus erkannten ihn auch an. Doch Christophorus, erst etwas verspätet eingetroffen, wollte keinen von Desiderius vorgesetzten »Stellvertreter«. Er schlug sich auf die fränkische Seite, erzwang augenblicklich Rücktritt und Rückkehr des bereits festtafelnden Papstes Philipp ins Kloster und brachte dafür seinen eigenen Mann, den Frankenfreund Stephan, auf den päpstlichen Stuhl. 8
Schon am 8. August wurde das Christophorus-Werkzeug Stephan
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