Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
Unter Führung von zwei Verwandten Hadrians I., des Primicerius Paschalis und des Sacellarius Campulus, entluden sich die wohl seit Leos Pontifikatsbeginn schwelenden Spannungen in einem Anschlag. Bei der sogenannten Prozession der Schwarzen Kreuze, am Markustag, am 25. April 799, versuchte der Anhang des letzten Papstes, den Nachfolger anscheinend zu blenden und umzubringen. Zumindest nach den Reichsannalen wurden ihm, während er vom Lateran zur Kirche des hl. Laurentius ritt, »die Augen ausgestochen und die Zunge wurde ihm abgeschnitten« (ac lingua detruncaverunt).
Auch Einhard berichtet dies ganz ähnlich. So schlimm kann es aber nicht gewesen sein, spricht doch Karl selbst bald darauf von der »wunderbaren Gesundheit des Papstes«. Freilich war auch die Version von seiner mirakulösen Heilung in Umlauf, der Wiedererlangung seines Augenlichts und seiner Sprache. Und offenbar hatte der Heilige Vater das Märchen persönlich an Karls Hof verbreitet. Anderseits bestritten seine Gegner, ihn überhaupt geblendet und verstümmelt zu haben – was die Gegner der Gegner dann allerdings als kein geringeres Wunder ansehen wollten: habe der hl. Petrus so das Attentat ja gänzlich vereitelt! 33
Anscheinend war Leo III., während sein Gefolge floh, vom Pferd gerissen, ins Gesicht gestochen, in eine Kirche geschleppt, vor dem Altar abermals mißhandelt und liegengelassen worden. Später sperrte ihn »der Anstifter dieser Tat«, ein echter Samariter, in das Kloster des hl. Märtyrers Erasmus (dessen Abt im Bund mit den Verschwörern war), »um da geheilt zu werden« (Annales regni Francorum). Indes die zwei Parteien, beide gut katholisch, sich noch immer schlugen, wurde der Heilige Vater von seinem Kämmerer Albinus in der Nacht über die Klostermauer befördert und durch den herbeigeeilten Herzog Winigis nach Spoleto geführt. Darauf gelangte er – seit den Tagen Stephans II. die erste Reise wieder eines Papstes über die Alpen ins Frankenreich – zu Karl.
Ein einziger Triumphzug soll es gewesen, alles Volk herbeigeeilt sein, den kaum glaubhaft Geheilten zu schauen, seine Füße zu küssen. In Paderborn geht die Menge vor ihm zu Boden. Er stimmt ein »gloria in excelsis« an, und Karl und der Papst, der »rex pater Europae« und der »Summus Leo pastor in orbe«, so das wohl damals dort entstandene panegyrische Epos »Karolus Magnus et Leo papa«, umarmen einander unter Tränen. (Festgottesdienst und Bankett, ganze Wildschweine auf Silberplatten und Falerner in Goldpokalen. Reste des Thrones, auf dem Karl seinerzeit saß, wurden 1963 ausgegraben.) Staunend sieht der König – in der Dichtung – die ausgestochenen Augen wieder leuchten, hört die verstümmelte Zunge wieder sprechen, und die Geistlichkeit preist vor der Kirchentür, im Wechselgesang, das Wunder Gottes.
Bald aber erschienen auch die Vertreter der papstfeindlichen Partei, die »verruchten Söhne des Teufels«, wie der päpstliche Geschichtsschreiber schimpft, die Leo, sehr präzisiert, Bestechung, Meineid und Ehebruch vorwarfen. Es waren keinesfalls grundlose Anklagen, wie nicht nur fränkische Kreise glaubten, (der Erzbischof von Salzburg stöhnte in vertrauten Briefen über die päpstlichen Vergehen), sondern auch die Untersuchungen in Rom ergaben das. Karl hatte von vornherein an Leos Eignung zum Papst gezweifelt. Doch wollte man die Autorität des Heiligen Vaters unter allen Umständen schonen. Denn welcher Hirt in der Kirche, rief der angelsächsische Theologe Alkuin, Leiter der karolingischen Hofschule und Abt von einem halben Dutzend Klöstern, bleibe noch unangetastet, »wird der abgesetzt, der das Haupt der Kirchen Christi ist?« Einen Bericht freilich des strenggläubigen und dem Papsttum sehr ergebenen Erzbischofs Arno aus Rom mit Hinweisen auf die Sittenlosigkeit des Papstes verbrennt Alkuin, »aus Furcht vor dem Aufsehen, das daraus entstehen könnte«.
Leo aber reinigte sich, »dem Beispiel seiner Vorgänger folgend«, am 23. Dezember 800 in Rom in Anwesenheit Karls, dessen Tribunal er sich unterwarf, »unter Anrufung der heiligen Dreieinigkeit durch einen Eid von den ihm vorgeworfenen Verbrechen« (Annales regni Francorum). Er hielt das Evangelium über seinen Kopf und rief Gott, »vor dessen Gericht alle erscheinen müssen«, zum Zeugen an für seine Unschuld. Auch betonte er stark und wiederholte die Freiwilligkeit seines Eides – »Dies aber tue ich, um allen Verdacht zu beseitigen, aus eigenem freiem Willen« –, obwohl man ihn
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