Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
faktisch zu diesem Ausweg gezwungen hatte. Worauf seine Gegner als Majestätsverbrecher zum Tod verurteilt, dann gnadenweise ins Frankenreich verbannt wurden und unter dem nächsten Papst nach Rom zurückkehren durften. (Als Karl freilich erst kurz gestorben war, führte dieser Papst nach einem weiteren Komplott gegen ihn ein Hochverratsverfahren in eigener Regie durch, »verurteilte gnadenlos Hunderte zum Tod« (Kelly) – und wurde heiliggesprochen, wie dies einem päpstlichen Schreibtischmörder auch zukommt; sein Fest am 12. Juni wurde allerdings inzwischen aufgehoben.) 34
Zwei Tage nach seinem Reinigungseid, Weihnachten 800, krönte Leo III. Karl während der Messe zum Kaiser – die Krönungszeremonie war »Teil des Gottesdienstes« (Benz). Offenbar wollte der Papst ablenken von seiner peinlichen Rechtfertigung und sich selber eine Sonderstellung gegenüber den übrigen Metropoliten, also größere Selbständigkeit sichern. Jedenfalls war es die Begründung des mittelalterlichen Kaisertums im Abendland. Während die Versammelten Karl zum Augustus ausriefen, huldigte ihm Leo durch einen Kniefall, freilich der erste und letzte Kniefall eines Papstes vor einem westlichen Kaiser.
Karl war angeblich unangenehm überrascht. Denn selbstverständlich erschien dies alles in Konstantinopel wie ein Staatsstreich. Er würde an jenem Tag nie die Kirche betreten haben, versicherte er, laut Einhard, hätte er des Papstes Absicht gekannt. Dies ist zumindest eine starke Schönfärbung, besser wohl: eine Unwahrheit – wenn es ihn auch gestört haben dürfte, dem Papst, zumal diesem Papst, etwas verdanken zu müssen. Immerhin machte er kurz darauf Leo Geschenke im Gewicht von rund eineinhalb Zentner Gold, kam im übrigen nie mehr nach Rom und ertrug »die Eifersucht der oströmischen Kaiser«, so Einhard wieder, »mit erstaunlicher Gelassenheit«.
Indes wird die Deutung des Krönungsaktes als päpstliches Überraschungsmanöver seit langem wohl mit Recht bezweifelt, ja abgelehnt. Sicher jedenfalls gingen der Krönung, wie die Lorscher Annalen bezeugen, Vorverhandlungen voraus. Sicher war Karl nicht der Mann, sich etwas aufdrängen zu lassen, was er nicht wollte. Und sicher hatte Leo gute oder vielmehr böse Gründe für sein Tun. »Der Papst mag in der Erhöhung seines Schützers seine eigene Rehabilitation verfolgt, mag in der Schaffung eines Kaisers erhöhte Sicherheit für sich selber gesehen, mag mit der Krönung von seiner Hand die Demütigung des Reinigungseides haben verwischen wollen. Sicher stand hinter seinem Tun jene Fälschung auf den Namen Konstantins, die dem Papst die Verfügung über Rom und den Okzident übertrug – welche Leo nun an den Frankenkönig weitergab« (Aubin). Der Papst hatte sich ein Recht angemaßt, das unheilvoll weiterwirken mußte, war es doch, wie Ranke sagt, »zunächst ein seltsamer Anspruch, Kronen zu verteilen«.
Weihnachten 804 suchte Leo für einige Wochen Karl in Quierzy und Aachen auf, spielte »die gefälschte Konstantinische Schenkung ... als politischen Trumpf Karl d. Gr. gegenüber aus« (Ohnsorge), und im folgenden Jahr kam es zum Krieg mit Byzanz, wobei man um Dalmatien und Venedig kämpfte, das gewonnen, verloren, wieder erobert wurde. Im Frieden von Aachen 812 gab Karl jedoch seine Eroberungen gegen die Anerkennung als Kaiser und die Gewährung der brüderlichen Anrede heraus. Er verzichtete auf Venedig, das dalmatinische Küstenland und Süditalien, erst danach erkannte ihn Michael I. (811–813) als Kaiser an. 35
Sein ganzes Leben hatte Karl Kriege geführt. Und nichts tat er lieber.
16. Kapitel
Karl »der Große« und seine Kriege
»Den Franken habe zum Freund, nicht aber zum Nachbarn.«
Griechisches Sprichwort 1
»Von allen Kriegen, die Karl führte, unternahm er zuerst den aquitanischen Krieg ... Nachdem dieser Krieg beendigt ... ließ sich Karl durch die Bitten und Beschwörungen des römischen Bischofs Hadrian dazu bewegen, den Langobarden den Krieg zu erklären ... Danach wurde der Sachsenkrieg wieder aufgenommen ... ununterbrochen dreiunddreißig Jahre lang ... und griff dann mit der größten Kriegsmacht, die ihm zur Verfügung stand, Spanien an ... Karl besiegte auch die Bretonen ... und drohte den Beneventern mit einem Angriff, falls sie sich ihm nicht unterwerfen wollten ... Nun brach plötzlich der bayrische Krieg aus ... Sobald diese Aufstände unterdrückt waren, wurde den Slawen der Krieg angesagt ... wohl der größte Krieg, den Karl je führte ...
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