Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
krönt die »Tyrannen« Italiens und ruft Arnulf auf, sie zu bekriegen
Nachfolger Stefans V. wurde Formosus (891–896), der Gründer der bulgarischen Kirche. In eine (angebliche) Verschwörung wider Kaiser und Johann VIII. verstrickt und von diesem 876 exkommuniziert, war Formosus im westfränkischen Reich, sein Anhang im Herzogtum Spoleto untergetaucht. Dann hatte er 878 dem Konzil von Troyes, nachdem er sich schuldig bekannt, eidlich versichert, seine Degradierung zum Laien anzuerkennen und nie wieder nach einem geistlichen Amt zu trachten, auch nie wieder Rom zu betreten. Er leistete diesen Eid auf die vier Evangelien, auf das Kreuz Christi, die Sandalen des Herrn, die Reliquien der Apostel, endlich bekräftigte er ihn noch unterschriftlich – und wurde am 6. Oktober 891 Papst! Er hatte, ebenso fähig wie ambitiös, sicher keinen größeren Ehrgeiz, erklärte sich aber, wie noch fast jeder seiner Vorgänger seit langem, für unwürdig; gewaltsam mußte er von seinen Wählern in Porto vom Altar der Bischofskirche, den er umklammert hielt, gerissen werden. Gewiß hatte ihn Marinus I. vom Eid wieder entbunden und erneut als Bischof in Porto eingesetzt. Gehörte ja auch Marinus, wie Formosus selbst, zu jener Partei, die durch Johanns VIII. Ermordung zur Herrschaft gelangt war.
Gleich zu Beginn seines Pontifikats klagte Formosus über »Ketzereien« und Spaltungen in der Kirche. Sein Hauptgegner wurde der Diakon Sergius, der berüchtigte spätere Papst, ein Parteigänger der Spoletiner oder der nationalen Faktion, während Formosus, dessen ganzer Anhang doch einst unter Johann VIII. in Spoleto Zuflucht gefunden, zu Arnulf und dessen Schützling Berengar stand. Gleichwohl hat Formosus unter dem Druck der Verhältnisse Wido von Spoleto, den Tyrannen Italiens, so die ostfränkischen Chronisten, anerkannt, ja, wie widerwillig immer, dessen Kaiserkrönung am 30. April 892 in Ravenna wiederholt und gleichzeitig auch Widos Sohn Lambert zum Mitkaiser gekrönt. Wie üblich wurden in einem Pactum die päpstlichen Besitztümer und Privilegien bestätigt. Als aber Wido den Berengar einmal mehr geschlagen und nach altem Brauch Patrimonien des Kirchenstaates eingezogen hatte, als überhaupt seine Macht stets zu wachsen schien, schickte Formosus im Sommer 893 König Arnulf Legaten mit dem wieder einmal dringenden Ersuchen, das Königreich Italien und das Erbgut des hl. Petrus »schlechten Christen«, also dem »Tyrannen« Wido, zu entreißen, »ut Italicum regnum et res sancti Petri ad suas manus a malis christianis eruendum adventaret« (Annales Fuldenses). 32
Die Einnahme Bergamos oder Eine Morgenmesse gibt allemal Kraft
Arnulf setzte zunächst seinen Sohn Zwentibold in Marsch. Zusammen mit Berengar lag er drei Wochen vor Pavias Mauern Wido reichlich tatenlos gegenüber und kehrte darauf, angeblich von ihm bestochen, zurück. Nun folgte Arnulf selbst. Mit starker Heeresmacht überquerte er im Januar 894, mitten im strengen Winter (noch im März erfroren in manchen Gegenden Bayerns Reben, Schafe, Bienen), die tiefverschneiten Alpen, vermutlich den Brenner. In Verona wurde er wieder durch Berengars Truppen verstärkt und ließ dann, »um die Reinigung der heiligen Maria« (2. Februar), nach der Feier der hl. Messe, »beim Morgenrot« das hochgelegene Bergamo in schweren Kämpfen stürmen und »nach Gottes Führung« (Annales Fuldenses) erobern – ein von den zeitgenössischen Chronisten wie von den späteren mittelalterlichen Historikern vielbeachtetes Ereignis, nicht zuletzt wegen der dabei demonstrierten Liebe zum Feind. Denn Arnulfs durch die hl. Messe gestärkte Streiter, nachweislich darunter Erzbischof Hatto von Mainz, Bischof Waldo von Freising und der Bischof von Neutra, Kanzler Wiching, verrichteten auch nach der Einnahme noch allerlei notorisch Christliches, worüber Bischof Liutprand von Cremona schreibt: »Priester Gottes wurden gebunden fortgeschleppt, geweihte Jungfrauen genotzüchtigt, Ehefrauen geschändet. Nicht einmal die Kirchen konnten den Flüchtenden eine Freistätte bieten; denn in diesen gab es Schlemmereien, unanständige Aufzüge, unzüchtige Gesänge und Trinkgelage. O Greuel! es wurden dort sogar Weiber öffentlich der Unzucht preisgegeben.« Das alles im Beisein der hochwürdigsten Herren aus Mainz, Freising und Neutra. Aber eine Morgenmesse gibt allemal Kraft.
Widos Grafen Ambrosius ließ Arnulf vor den Toren in voller Rüstung an einen Baum hängen, ebenso einen bewaffneten Kleriker Godfrid.
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