Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Bistumssitz) sowie einen Diakon als Pflichtverteidiger an die Seite bekam, der mit zittriger Stimme und natürlich unbefriedigend für sie geantwortet hat.
Man fand einige Vorwände; warf dem halb Verwesten Eidbruch vor, wovon ihn allerdings Marinus I. schon losgesprochen. Man bezichtigte ihn des ehrgeizigen Strebens nach dem Papstamt, wessen man ungezählte Päpste (und andere Prälaten) selbstverständlich ebenfalls hätte bezichtigen können. Und man kreidete ihm den Übergang von Porto nach Rom, von einem Bistum in ein andres an, damals, nach alter Tradition, zwar generell verboten, gelegentlich jedoch erlaubt. Hatte ja sein fürchterlicher Richter, Papst Stephan VI., eine solche Translation in persona vorgenommen, nämlich seinen Bischofssitz Agnani mit dem römischen vertauscht. (Waren aber alle Weihen des Formosus ungültig, so auch die Konsekration Stephans zum Bischof von Agnani, da sie Formosus vollzogen, womit dann freilich keine Translation mehr vorlag, Stephan VI. also zu Recht auf dem Papstthron saß!)
Vielleicht ist ja nicht einmal der Vorgang an sich, der Einfall eines von kaum glaublichem Haß verzehrten Heiligen Vaters das Erstaunlichste an einer Sache, die wie das Szenario aus einer Nervenklinik, ein Alptraum anmutet, als die Tatsache, daß diesem geistlichen Gruselkabinett eine ganze Bischofsversammlung drei Tage beiwohnt – sei es nun ehrfürchtig oder nicht. Wie es in diesem Rahmen auch ganz gleichgültig ist, ob Formosus ein Ganove war oder nicht! Man kann der Menschheit wirklich alles bieten – zumal der gläubigen ...
Am Ende des makabren Schmierenstücks – von den Quellen bald das »erschütternde Schauspiel«, die »Schauersynode« (horrenda synodus) genannt – erklärte man Formosus für abgesetzt, die von ihm erteilten Weihen für ungültig, unterschrieb ein entsprechendes Dekret, verfluchte ihn und befahl, alle von ihm Geweihten nochmals zu weihen. Man riß der Leiche sozusagen protokollgerecht die papalen Gewänder bis auf ein Hemd herunter, hüllte sie in Laienklamotten, schlug ihr ein paar Finger der rechten Hand, die Schwur- bzw. Segensfinger ab und schleifte sie barbarisch brüllend aus der Kirche und durch die Straßen. Schließlich warf man sie unter dem Protestgeschrei der Zusammengeströmten erst in eine Grube, worin man namenlose Fremde verscharrte, dann, nachdem man sie nochmals ausgegraben, nackt in den Tiber – gerade in einer Zeit, in der die alte Basilika des Lateran zusammenbrach, worauf die Römer jahrelang den kostbaren Schutthaufen nach Schätzen durchwühlten.
Auch Papst Stephan überlebte die Prozedur nicht lang. Noch im selben Jahr, im Juli 897, wurde er bei einer Volkserhebung, hinter der wohl die ostfränkische Partei Roms und der Anhang des Formosus standen (nicht zuletzt auch etliche Wunder, die dessen elende Leiche bewirkt haben soll), abgesetzt, seiner Insignien beraubt, in einen Klosterkerker geworfen, erwürgt – und später durch ein prächtiges Epitaph geehrt. 38
Formosianer und Antiformosianer
Fortan bekämpften sich Formosianer und Antiformosianer in Rom, auch literarisch, in Attacken und Apologien, jahrzehntelang.
Noch im Todesjahr des ermordeten Papstes gingen die sehr kurzen Pontifikate seiner Nachfolger Romanus und Theodor II. zu Ende. Sie konnten in diesen turbulenten Tagen gerade noch Formosus rehabilitieren, ehe sie starben. Romanus, ein Bruder von Papst Marinus und Anhänger des Formosus, erklärte alle Beschlüsse des Leichenspektakels für nichtig. Doch amtierte er nur vier Monate, und über seine Amtszeit wissen wir fast nichts. Trifft eine revidierte Fassung des Liber Pontificalis zu, wurde er »hinterher zum Mönch gemacht«, das heißt in einem Kloster verwahrt.
Und Theodor II., der im Spätherbst 897 bloß zwanzig Tage regierte, annulierte auf einer römischen Kirchen Versammlung abermals alle Verfügungen des Kadaverkonzils, erkannte die Weihen des Formosus an, ließ die Absetzungsurkunden Stephans VI. verbrennen und bestattete aufs feierlichste die von Tiberfischern (oder von Mönchen) aufgefundenen Reste des Formosus, vor denen sich, als sie im Sarg lagen, sogar einige Heiligenbilder in St. Peter »ehrfurchtsvoll verneigten. Dieses habe ich von den gottesfürchtigsten Einwohnern der Stadt Rom oftmals gehört«, versichert der Bischof Liutprand, ohne mit der Wimper zu zucken. Weder der genaue Tag von Theodors II. Amtsantritt noch der seines Todes sind bekannt, noch der Grund für seinen frühen Tod. 39
Nun machten die
Weitere Kostenlose Bücher