Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Bruder Ottos I., der bayrische Herzog Heinrich, einer der ungestümsten Draufgänger unter den ostfränkischen Fürsten, wieder offensiv in Ungarn vor. Er siegte zweimal jenseits der Theiß, erbeutete reiche Schätze, viele Gefangene und kehrte »wohlbehalten in das Vaterland zurück« (Widukind). 9
Die Ungarn oder Magyaren, wie sie sich selbst nannten, waren ein in Zelten oder Schilfrohrhütten lebendes berittenes Nomadenvolk, teils finnisch-ugrischer, teils turkstämmischer Abkunft; die lateinischen Quellen setzen diese schnellen, wendigen Reiter und trefflichen Bogenschützen häufig mit Hunnen und Awaren gleich. Von den Pecenegen, einem besonders kriegerischem reiternomadischem Turkvolk, schwer bedrängt und im Bündnis mit den Bulgaren 895 aus ihren Sitzen zwischen Wolga und Donau am Schwarzen Meer vertrieben, überfielen, verwüsteten, beraubten sie von der Theißebene aus immer wieder Pannonien, Böhmen und das Mährerreich, das König Arnulf 892 noch Seite an Seite mit ihnen bekämpft hatte und das sie bis 906 völlig vernichteten, buchstäblich verschwinden ließen. Ab 899 suchten sie auch Oberitalien heim, brandschatzten sogar Südfrankreich, attackierten aber im beginnenden 10. Jahrhundert in oft jährlichen Raubzügen Bayern, Sachsen, Alemannien, Elsaß, Lotharingien. Und länger als ein halbes Jahrhundert setzten sie ihre Einfälle fort – eine schlimmere Plage als die Normannen, die sich inzwischen mehr auf Ostengland konzentrierten.
Anno domini 900 erschienen die Ungarn erstmals auf einst bayerischem, heute österreichischem Boden.
Über die Enns brachen sie in den Thraungau ein, »auf 50 Meilen in die Länge und Breite mit Feuer und Schwert alles mordend und plündernd«. Allerdings erledigte im Spätherbst ein bayerisches Heer unter Graf Liutpold von Kärnten und dem Bischof Richar von Passau eine kleine ungarische Nachhut bei Linz, rühmlich kämpfend, sagt der Annalist, noch rühmlicher triumphierend. Denn angeblich fand man durch die »Gnade Gottes« unter den Gefallenen und in der Donau Ertrunkenen zwar 1200 Heiden, aber »kaum einen einzigen Christen« (Annales Fuldenses).
901 wurden die Ungarn nach einem Einfall in Karantanien auf dem Rückweg an der Fischa, östlich von Wien, geschlagen, 902 in Mähren gemeinsam mit den Mährern, deren Reich die Bayern noch zwei Jahre zuvor geplündert hatten, wie ja schon 890 und 899. Auch 903 kam es zu Kämpfen mit den Magyaren, diesmal mit unbekanntem Ausgang. Und 904 luden die Bayern eine ungarische Gesandtschaft unter deren Heerführer Chussal zu sich ein, veranstalteten erst ein Gastmahl, dann ein Massaker mit ihnen, killten sie komplett, und offensichtlich wieder mit dem Beistand Gottes.
»Deutsche christliche Aufbauarbeit im Osten« und der »garstigste Hund ...«
Doch dann scheint der Herr sie verlassen zu haben, kamen die Ungarn fast Jahr für Jahr wieder, erledigten diese am 5. Juli 907 in einem ostfränkischen Offensivkrieg – von bayerischen Bischöfen, Äbten und Adeligen mit König Ludwig dem Kind am 17. Juni 907 beschlossen – den bayrischen Heerbann bei Preßburg total. Eine »gewaltige Schlacht«, melden lakonisch die Annales Alamannici und fügen knapp hinzu: »und ihr abergläubischer Hochmut ist vernichtet worden«. Auf dem Mordfeld lagen nicht nur mehrere Grafen nebst viel sonstig Edlem, sondern auch drei Äbte und drei Bischöfe, der Erzbischof Thietmar von Salzburg sowie die Bischöfe Udo von Freising und Zacharias von Seben-Brixen – »die Blüte des bayerischen Adels und Episkopats ... und die Aufbauarbeit (!) blieb unterbrochen« (Bosl); in einem Land, das man zwar gern als alten Besitz ansah, das aber erst Karl »der Große« in vielen jahrelangen Kriegen von den Awaren geraubt hatte, deren gesamter Adel dabei zugrunde gegangen, ja, deren ganzes Volk damals aus der Geschichte verschwunden ist (IV 485 ff.) – »Aufbauarbeit«!
Erzbischof Thietmar von Salzburg, dessen »Reliquien« man 1602 wieder gefunden haben will, was für ein Glück, wurde in Salzburg zu den Heiligen bzw. Seligen gezählt; Bischof Zacharias von Seben und Bischof Udo von Freising erkannte man immerhin die »palma martyrii« zu, hatten sie doch ihr Leben »fuer den Glauben Christi auffgeopffert« (Meichelbeck). In der Ungarnschlacht in Thüringen vom 3. August 908 fiel auch Bischof Rudolf von Würzburg, offenbar der Initiator der blutigen Babenberger Fehde (S. 354 ff.). Dagegen ignoriert die Überlieferung das innerkirchliche Wirken dieses Oberhirten
Weitere Kostenlose Bücher