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Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Deschner
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den »Gesalbten des Herrn«. Denn schon oft hatte zwar ein katholischer König einen Papst abgesetzt, noch nie aber ein Papst einen katholischen König exkommuniziert. Noch zwei Generationen später wundert sich in seiner Weltchronik Bischof Otto von Freising, ein Enkel Heinrichs IV.: »Wieder und wieder lese ich die Geschichte der römischen Könige und Kaiser, und nirgends finde ich, daß einer von ihnen vor diesem von einem römischen Bischof ausgeschlossen sei.«
    Gregor gab dem Ganzen einen bombastischen Hintergrund, rückte sich und seine Sentenz in eine Wolke von Metaphysik, indem er das Verdikt höchst wirkungsvoll in ein Gebet an den Apostelfürsten Petrus einschloß, mit dem er sich fast in eins setzte. Als dessen Stellvertreter habe er von Gott die Macht, im Himmel und auf Erden zu binden und zu lösen, und so versage er, gestützt auf solche Macht und Autorität, »dem König Heinrich, dem Sohn des Kaisers Heinrich, die Regierung des ganzen Reichs von Deutschland und Italien, ich entbinde alle Christen von dem Treueid, den sie ihm geschworen haben oder schwören werden, und gebiete, daß niemand ihm als König diene. Und da er verschmäht hat, als ein Christ gehorsam zu sein, da er zu dem Herrn, den er durch den Verkehr mit Exkommunizierten, durch das Vollbringen vieler Bosheiten und die Verachtung meiner Mahnungen verlassen hat, nicht zurückgekehrt ist, da er sich von deiner Kirche, indem er versucht hat, sie zu spalten, selbst geschieden hat, so binde ich ihn an deiner Statt mit der Fessel des Fluchs. Ja, im Vertrauen auf dich binde ich ihn, damit alle Völker merken und bekennen, daß du bist Petrus und daß auf deinen Felsen der Sohn des lebendigen Gottes seine Kirche gegründet hat, und daß die Pforten der Hölle nicht mächtiger sein werden als sie ...«
    Heinrichs Mutter, die Gregor gänzlich ergebene Kaiserin Agnes, hörte zu Füßen seiner Heiligkeit im Nonnenschleier die Verdammung an. Doch obwohl der Bannfluch, der sowohl den Ausschluß aus der Gemeinschaft der Gläubigen und von allen Sakramenten bedeutete als auch jeden Verkehr mit dem Exkommunizierten verbot, den König an den Rand des Ruins zu bringen suchte und dann auch brachte, war Heinrich noch guter Dinge. Zunächst belegte er am heiligen Osterfest 1076 in Utrecht den Mann, für den man bisher in jeder Messe gebetet, mit Fluch und Absetzung und ließ Ende Juni in Mainz den Bann erneuern. Auch erklärte er in einem weiteren offenen Schreiben an »Hildebrand, nicht mehr den Papst sondern den falschen Mönch«, daß der König nur von Gott gerichtet, nur wegen Abfall vom Glauben vom Thron gestoßen werden könne. Und Hildebrand apostrophierte er, nun seinerseits nicht bloß Petrus, sondern auch Paulus, den allen Dissidenten fluchenden, auf seine Seite ziehend: »Du also durch diesen Fluch und durch das Urteil aller meiner Bischöfe verdammt, steige herab, verlasse den angemaßten apostolischen Sitz, ein anderer besteige den Thron des heiligen Petrus, der der Gewalt nicht die Maske der Frömmigkeit gibt, sondern die gesunde Lehre des heiligen Petrus lehrt. Ich Heinrich, König durch die Gnade Gottes, mit allen meinen Bischöfen sage dir: Steige herab, steige herab, du ewig Verdammter!« 44
    Heinrich hatte damit den Papst zwar abgesetzt, aber ohne den Beschluß auch durchführen zu können, ein in der deutschen Geschichte bisher ebenso einzigartiger Vorgang wie die Exkommunikation eines römisch-deutschen Königs, eines »Gesalbten des Herrn«, wenn auch keine formelle Entsetzung des Herrschers vorlag, dessen theokratisches Selbstverständnis durchaus dem seiner Vorgänger, durchaus der Tradition entsprach, während die Anmaßungen Gregors eben revolutionären Charakter hatten.
    Doch der König, der auf einem Höhepunkt seiner Macht stand, verlor rasch an Boden.
    Einige Äußerlichkeiten, die aber seinerzeit nicht als solche empfunden wurden, halfen seinen Gegnern. Der jähe Tod etwa des äußerst qualvoll am 27. April 1076 sterbenden Bischofs Wilhelm von Utrecht, des Spruchverkünders, der als einziger der anwesenden Prälaten überhaupt gewagt hatte, das Anathema gegen den Papst zu verlesen. Denn auf gregorianischer Seite wurde der Tod des Bischofs natürlich als abschreckendes Beispiel einer himmlischen Bestrafung gedeutet. Und vielleicht war ja so etwas Ähnliches auch die nur einige Wochen vorher erfolgte Ermordung von Heinrichs getreuestem Anhänger, dem Herzog Gottfried von Niederlothringen, im Februar 1076 im Feldlager nahe der

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