Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
stehen. Der König bezog alsbald die in der Nähe liegende Burg Bianello, ebenfalls im Besitz Mathildens, seiner Cousine, und eröffnete die Verhandlungen mit dem Papst, die man dann auf dem benachbarten Kastell Montezane fortsetzte. Da die Sache, deren Verlauf im Dunkel liegt, nicht voranging, erschien Heinrich, ungeladen und unaufgefordert, am 25. Januar 1077 im Büßergewand vor dem inneren Burgtor von Canossa, kam so an den beiden darauffolgenden Tagen wieder und erhielt endlich, vermittelt vor allem wohl durch des Königs Verwandte, die Burgherrin Mathilde, und den Abt Hugo von Cluny, den Papstbegleiter und Taufpaten Heinrichs, nach Regelung der Lossprechungsbedingungen von dem durch seine Umgebung gedrängten Gregor die Rekonziliation. Doch nicht nur der König wurde so förmlich wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen, sondern auch die anderen vom Bann Gelösten: der Erzbischof Liemar von Hamburg-Bremen (1072–1101) – zeitlebens einer der verläßlichsten und tatkräftigsten Getreuen Heinrichs IV. (der ihn wie sonst keinen deutschen Prälaten »nominis nostri precipuus amator« nennt) –, die Bischöfe Werner von Straßburg, Burchard von Lausanne, Burchard von Basel, Eberhard von Naumburg. Der Papst erteilte ihnen in der Burgkapelle den Friedenskuß, dem König die Kommunion, was abermals dessen Wiederaufnahme in die Kirche beweist. 46
Canossa – fraglos einer der berühmtesten Namen deutscher Geschichte, eines der bekanntesten Stich-und Reizworte darin, ein Weltanschauungsschlagwort beinah ohnegleichen, immerfort zitiert etwa Bismarcks »Nach Canossa gehn wir nicht«, stets wieder thematisiert in Schauspielen, Romanen, Gedichten, bis hin zu den Strophen:
»Auf dem Schloßhof zu Canossa
Steht der deutsche Kaiser Heinrich,
Barfuß und im Büßerhemde,
Und die Nacht ist kalt und regnicht.
Droben aus dem Fenster lugen
Zwo Gestalten und der Mondschein
Überflimmert Gregors Kahlkopf
und die Brüste der Mathildis.«
Natürlich: Heine. Und schon in der dritten Zeile seines sechsstrophigen Namensvetters »Heinrich« kommt jenes Wort, um das herum neuerdings Aulo Engler gleichsam ein ganzes Buch schrieb: »Canossa. Die große Täuschung«, worin er zeigen will, daß alles ganz, ganz anders war, als es die Welt, einschließlich der Geschichtswissenschaft, nun bald ein Jahrtausend lang glaubt. Und so ganz, ganz falsch scheint das gar nicht zu sein, was in Englers Buch steht, vielmehr im wesentlichen überzeugend, bei manchen Unrichtigkeiten, die es enthält – wie jedes Geschichtswerk. 47
Canossa ... Was sich seitdem beim Erklingen dieses Namens in den Köpfen Ungezählter aus so vielen Jahrhunderten spiegelt, ist das Bild des vor dem Papst zu Kreuze kriechenden deutschen Königs: drei Tage wie der letzte Hundsfott büßend in Eis und Schnee.
Kann das so gewesen sein?
Schauen wir uns den Vorgang bei dem wohl bekanntesten zeitgenössischen Annalisten an, der darüber berichtet, bei Lampert von Hersfeld. Er schreibt: »Da kam der König, wie ihm befohlen war, und da die Burg von drei Mauern umgeben war, wurde er in den zweiten Mauerring aufgenommen, während sein ganzes Gefolge draußen blieb, und hier stand er nach Ablegung der königlichen Gewänder ohne alle Abzeichen der königlichen Würde, ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuß und nüchtern vom Morgen bis zum Abend, das Urteil des Papstes erwartend. So verhielt er sich am zweiten, so am dritten Tage. Endlich am vierten Tag wurde er zu ihm vorgelassen, und nach vielen Reden und Gegenreden wurde er schließlich unter folgenden Bedingungen vom Bann losgesprochen ...«
Beiseite, daß sich über Details nichts Genaues ermitteln läßt, daß wir sicher weder wissen, wo Heinrich noch wo sein Gefolge sich aufhielt, und beiseite auch, daß der König nicht auf Befehl des Papstes oder von sonst wem kam – »Heinrich kam«, kommentiert Wolfgang Dietrich Fritz, »während oder nach den Verhandlungen, jedenfalls aber nicht befohlen, sondern aus eigenem Entschluß«. Doch dies alles beiseite, behauptet der Hersfelder Mönch, Heinrich stand vor Canossa drei Tage lang »barfuß und nüchtern vom Morgen bis zum Abend (nudis pedibus ieiunus a mane usque ad vesperam), das Urteil des Papstes erwartend«. 48
Nun bezeichnen Lamperts Annalen zwar »einen Höhepunkt mittelalterlicher Geschichtsschreibung« (Struve), sind aber teilweise recht phantasievoll und vor allem ausgesprochen königsfeindlich. Gibt es doch kaum eine Schändlichkeit,
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