Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Deschner
Vom Netzwerk:
die er Heinrich IV. nicht zutraut oder anhängt. »Denn der Zügellosigkeit des Königs setzte weder die Vernunft ein Ziel, noch sein zunehmendes Alter, noch der Tadel irgendeines Freundes, er wurde vielmehr von Tag zu Tag schlechter, zerriß alle Bande menschlicher, um nicht zu sagen, christlicher Scheu und stürzte sich Hals über Kopf in jedes Verbrechen ...« 49
    Dementsprechend zeigt Lampert jetzt eben Heinrich möglichst würdelos, drei Tage lang barfuß von Morgen bis Abend in Schnee und Eis. War doch Januar, Wintermitte. Und welch ein Winter! Sozusagen ein Jahrhundertwinter. Lampert selbst berichtet, daß der Rhein von Mitte November bis fast Anfang April zugefroren und für Fußgänger passierbar war. Doch nicht nur Deutschland, ganz Europa erstarrte im Frost. Auch Italien. Auch der Po war zu. Canossa aber lag sechshundert Meter hoch. Und da soll Heinrich ...? Noch dazu nüchtern! Noch dazu drei Tage lang! Kaum ein, zwei Stunden hätte er das ohne schwere Schäden ausgehalten. Darauf insistiert Aulo Engler, obwohl es eigentlich auch so klar sein sollte. 50
    Nun streute freilich nicht nur Lampert seine Meldung aus, sondern auch unsere Hauptquelle, der noch königsfeindlichere Papst. Denn sobald Heinrich nicht mehr für ihn brauchbar schien, nicht mehr, wie noch im Juli 1075, sein »vortrefflichster Sohn« (excellentissime fili) war oder, wie noch wenige Monate zuvor, sein »innigstgeliebter Sohn« (fili karissime), als er ihm nicht mehr schrieb, »wie sehr ich Dich liebe«, sondern als Heinrich plötzlich »Gutes mit Bösem« vergalt, »unerhörte Schlechtigkeiten« beging und Gregor selbst, soweit möglich, noch machtbesessener wurde, da malte er, in der ihm eigenen, durchaus gemessen wohlbedachten Form, der Welt und im besonderen allen seinen »Lieben« in Deutschland ein Bild von der erbärmlichen Demütigung des Königs vor, alles natürlich, wie er betont, »in ungeschminkter Wahrheit«. Und diese kurze Schilderung prägte die Szene und Geschichte von Canossa bis heute.
    Schon bevor er Italien betrat, sagt Gregor von Heinrich, sandte er »untertänig Boten zu uns voraus und bot an, Gott, dem heiligen Petrus und uns in allem Abbitte zu leisten, und versprach zur Besserung seines Lebens völligen Gehorsam zu wahren, sofern er nur Lossprechung und die Gnade des apostolischen Segens zu erlangen verdiene«. Und in Canossa, behauptet der Papst im Januar 1077, also offenbar sofort nach dem Vorfall – »allen Erzbischöfen, Bischöfen, Herzögen, Grafen und sonstigen Fürsten des Königreichs der Deutschen« noch Gruß und apostolischem Segen zuvor –, in Canossa »harrte er während dreier Tage vor dem Tor der Burg ohne jedes königliche Gepränge auf Mitleid erregende Weise aus, nämlich unbeschuht und in wollener Kleidung, und ließ nicht eher ab, unter zahlreichen Tränen Hilfe und Trost des apostolischen Erbarmens zu erflehen, als bis er alle, die dort anwesend waren und zu denen diese Kunde gelangte, zu solcher Barmherzigkeit und solchem barmherzigen Mitleid bewog, daß sich alle unter vielen Bitten und Tränen für ihn verwandten und sich fürwahr über die ungewohnte Härte unserer Gesinnung wunderten; einige aber klagten, in uns sei nicht die Festigkeit apostolischer Strenge, sondern gewissermaßen die Grausamkeit tyrannischer Wildheit.
    Schließlich wurden wir durch seine ständige Zerknirschung und solches Bitten aller Anwesenden besiegt, lösten endlich die Fesseln des Anathems und nahmen ihn wieder in die Gnade der Gemeinschaft und den Schoß der heiligen Mutter Kirche auf, nachdem wir von ihm die Sicherheiten erhalten hatten, die unten aufgeführt sind.« 51
    Papst Gregor VII. mutet somit als erster seinem Gegenspieler in jenen extrem eisigen Januartagen die dreitägige unbeschuhte (discalciatus) Prozedur vor Canossa zu, wobei dieser »unter zahlreichen Tränen Hilfe und Trost des apostolischen Erbarmens« erflehte, bis schließlich auch alle anderen weinten, »alle, die dort anwesend waren«, bis »alle unter vielen Bitten und Tränen für ihn« eintraten, bis die »ständige Zerknirschung« des bösen, aber so hart büßenden Königs den alles in der Hand habenden Papst weich kriegte.
    Etwas dick aufgetragen, oder?
    Jedenfalls entsprach es nicht der Situation, weder der klimatischen noch der politischen. Gewiß brauchte der König die päpstliche Absolution, wollte er nicht Thron und Reich riskieren und vielleicht noch mehr. Doch Gregor, dem Priester, blieb gar nichts anderes übrig, als dem

Weitere Kostenlose Bücher