Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
sozusagen seine Erfindung, wobei er den Gläubigen – über zwei Millionen sollen gekommen sein – einen vollkommenen Ablaß durch den Besuch der Basiliken St. Peter und St. Paul in Rom offerierte; ein pastorales Angebot, das die Kurie kirchenpolitisch und ökonomisch nutzte, letzten Endes immer der Zweck ihrer Dienstleistungen. Ohne Geld gar nichts. Ohne Spenden keine Gnaden. Ohne Opfer keine Entlastungen, keine Freisprüche, überhaupt keine Sprüche – außer bösen. Tag und Nacht sollen Priester den schnöden Mammon mit dem Rechen eingezogen haben; angeblich meist bloß Kleingeld – Könige kamen bezeichnenderweise nicht, die Zeit war vorbei.
Aber Geld kam vielleicht mehr, als man zugestand. Denn sollte das Heilige Jahr ursprünglich nur alle 100 Jahre sein, so bald alle 50 (das nächste Heilige Jahr: 1350), dann alle 33, schließlich alle 25 Jahre. Außerdem gab es seit dem 15. Jahrhundert noch die Möglichkeit außerordentlicher Heiliger Jahre sowie die der Verleihung des Romablasses auch an Kirchen anderwärts. Ganz zu schweigen davon, daß stets mehr römische Gotteshäuser eigene Ablaßofferten fälschten. Doch immer und alles nur zum Heil, der Seele da, der Börse dort. Freilich: nicht für jeden! Ausgeschlossen von dem Segen waren: Waffenlieferer an Sarazenen, Friedrich von Sizilien nebst Anhang, einschließlich der Genueser, seiner Kriegsgefährten, und natürlich: die Colonna. 21
Nicht nur die Kirche, ganz Rom prosperierte, und Bonifaz schwamm auf der Woge des Triumphes, fühlte sich nicht nur als Papst, auch als Kaiser, als der alleinige Papst, der alleinige Kaiser. Er änderte die Tiara, die nicht nur priesterlich, die auch herrscherlich-triumphal gedeutete Krone, Symbol universaler Macht des Pontifex als »Vater der Fürsten und Könige, Lenker der Welt und Stellvertreter Christi auf Erden« (Pontificale Romanum 1596). Auch ließ er, gleichfalls Ausdruck monarchischen Anspruchs, wenn nicht gar Bekundung von Idolatrie, von Götzendienst, in Rom und vielen Orten Italiens, an Stadttoren, in Kirchen, wahrscheinlich sogar auf Altären Ehrenstatuen für sich aufstellen, große silberne Porträts, als wolle er – bei seiner Selbsteinschätzung als »Gott der Götter« nicht so unwahrscheinlich – gleich den römischen Kaisern der klassischen Zeit göttliche Verehrung genießen. Zeigte er sich doch mit dem ihm eigenen Hang zu großen Gesten, theatralischer Schaustellung gerade damals, zuverlässig bezeugt, wiederholt mit kaiserlichen Insignien geschmückt und schrie: »Ich bin Caesar, ich bin Kaiser.«
Besessen vom Gefühl seiner Herrsch- und Großmannssucht, flackerte jetzt erneut der Konflikt mit Philipp dem Schönen auf, angeheizt noch durch die berüchtigte, bereits damals vieldiskutierte Konstitution »Unam sanctam«, datiert vom 18. November 1302, veröffentlicht vielleicht erst im folgenden Jahr. Sie knüpft u.a. an die bekannte Zwei-Schwerter-Theorie der Kirche an, das ihr zu Gebote stehende geistliche und weltliche Schwert; jenes werde von ihr, dieses für sie geführt, zwar vom König, doch nach Weisung des Priesters (ad nutum et patientiam sacerdotis). Kaiser und Könige sind bloß ausführende Organe der Ecclesia.
Das Dokument proklamiert aber nicht nur den globalen Führungsanspruch, nicht nur die Überlegenheit der geistlichen über die weltliche Gewalt (vgl. dazu schon II 329 ff.), beansprucht nicht nur »das Gericht über die Könige und Fürsten der Welt« (Presumus iudicare reges et principes orbis terrarum), erheischt nicht nur »die einzige höchste Gewalt über sie« (solus altissimus super eos), sondern gipfelt – mit Worten aus des Aquinaten »Contra errores Graecorum« – darin, daß es jeder menschlichen Kreatur heilsnotwendig sei, dem römischen Papst unterworfen zu sein: »Porro subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus et definimus omnino esse de necessitate salutis.«
Die Konstitution, die – mitunter fast wörtliche – Anklänge auch an Cyprian, Dionysius Areopagita, den Großfälscher (III 147 ff.!), an Bernhard von Clairvaux, den geistlichen »Schuft« (Schiller: VI 464), besonders aber an Aegidius Romanus enthält, bringt nichts Neues. Aber sie bringt alles diesfalls Dagewesene in schroffer Form auf den Punkt, den Gipfelpunkt. Und obwohl oder weil die hierokratische Prätention der Päpste auf universale Leitung, auf die geistliche wie politische Beherrschung der Welt und insbesondere, was ja schon im Anfang des Schriftstücks stark
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