Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
erbat abermals vom König die Berufung eines Konzils und klagte den Papst in 29 Punkten erneut schwerer Verbrechen an, von der Leugnung der Unsterblichkeit bis zum Vorwurf der Sodomie und der Bezichtigung, Coelestins Mörder zu sein.
Bonifaz VIII. replizierte mit Entrüstung und wilden Warnungen. Niemand möge sich täuschen in seiner Entschlossenheit. Er werde nicht ruhen, bis das Blut des Königs und seiner Gefolgsleute, es sei denn, sie würden sich bessern und Genugtuung leisten, an seinen Händen klebe ( ... nisi se corrigant et satisfactionis impendant debitum, ne eorum sanguis a nostris requiratur manibus, procedamus). 25
Am 15. August 1303 schleuderte der Papst eine ganze Reihe von Bullen gegen Philipp samt Genossen. Ein weiteres Exkommunikationsdekret, »Super Petri solio«, war zuletzt noch in Vorbereitung und sollte die feierliche Bannung des (ihr zwar schon früher verfallenen) Königs sowie die Lösung seiner Untertanen vom Treueid verkünden und am 8. September 1303 erscheinen. Doch zur Verhinderung ebendessen erschienen am Tag zuvor die Herren aus Paris.
Nogaret und Sciarra Colonna waren am Morgen des 7. September mit einer Gruppe von Verschwörern unter dem französischen und dem päpstlichen Banner in Anagni eingedrungen. Mit dem Ruf »Es lebe der König von Frankreich und Colonna« hatten sie, unbehelligt von den Einwohnern, mehrere Kardinalspaläste gestürmt, dann dem Papst Bedingungen gestellt, nach deren Annahme er sein Leben behalten sollte: Restitution der Colonna-Kardinäle, des Colonna-Besitzes, Auslieferung des Kirchenschatzes an mehrere ältere Purpurträger, Rücktritt und Gefangenschaft des Papstes. Aber Bonifaz wünschte, so sagte er angeblich, wie der Erlöser verraten, als Papst zu sterben. Er saß allein, verlassen von allen, von den Kardinälen, den Neffen, den Soldaten. Er saß allein in dem gewaltigen Palast auf dem Thron, die große Tiara auf dem Kopf, und erklärte: »Hier mein Nacken, hier mein Haupt.«
Sciarra Colonna wollte ihn töten, Nogaret ihn nach Frankreich vor ein Konzil bringen. Doch nach zwei Tagen, am 9. September, retteten ihn die Anagnesen. In blutigen Gefechten verjagten sie die Eindringlinge, Bonifaz segnete seine Befreier, dankte ihnen, mochte aber nicht mehr in Anagni bleiben. Er ging nach Rom, wo er am 25. September eintraf, noch einen Monat lebte, gefoltert bis zu seinem Tode von dem Wahn, jeder Ankömmling wolle ihn ergreifen. Er war noch klar genug, die Exkommunikation des Königs von Neapel zu planen, weil dieser sich geweigert, Frankreich den Krieg zu erklären. Er war nicht mehr klar genug, die Sterbesakramente zu verschmähen, verschied am 12. Oktober 1303 und verschwand in der von ihm erbauten pompösen Kapelle in St. Peter unter jenem Grabmal, das ihm Arnolfo di Cambio hatte errichten müssen. Und dreihundert Jahre später, 1605, fand man dort bei einem Umbau »seinen Leichnam fast ganz unversehrt« (Wetzer/Welte). 26
Als einst eine Abordnung römischer Juden Bonifaz das Mosaische Gesetz überreichte, gab er es mit den Worten zurück: »Wir anerkennen das Gesetz, aber wir verdammen das Judentum; denn das Gesetz ist durch Christus bereits erfüllt worden.« 27
Ein fürchterliches Geschehen, das in den Pontifikat des Papstes fällt, das große Judenpogrom 1298 in Franken, sei hier Anlaß, den kontinuierlichen Geschichtsbericht zu unterbrechen durch die Erinnerung an das Martyrium der Juden im Mittelalter.
12. Kapitel
Christliches Judenmorden im Mittelalter
»Das ist erstaunlich und besonderer Beachtung würdig, daß die Juden seit so vielen Jahren bestehen und daß man sie immer im Elend findet: Es war zum Beweise Jesu Christi sowohl notwendig, daß sie bestünden, um ihn zu beweisen,
wie daß sie elend seien, weil sie ihn gekreuzigt haben.
«
Blaise Pascal 1
»Der Kampf gegen die Synagogen war zu jener Zeit eine gesamteuropäische Erscheinung.«
D. Claude 2
»In Spanien war das Judentum seit der Mitte des siebten Jahrhunderts gesetzlich nicht mehr geduldet; praktizierende Juden waren der Folter und Todesstrafe unterworfen, kein Jude durfte sich im Westgotenreich niederlassen.«
Amnon Linder 3
»Die Juden, die nicht Christen werden wollen, sind totzuschlagen.« Der stellvertretende Erzbischof von Sevilla,
Martinez 4
»Etwa zwei Drittel der jüdischen Gemeinden in Deutschland fielen 1348/49 dem Wüten des Judenhasses zum Opfer, mitunter von Stadtfremden, manchmal aber auch, wie in Basel, Straßburg oder Nürnberg, mit aller Umsicht
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