Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
anklingt, der Schlußsatz von der Heilsnotwendigkeit nie eine extremere Formulierung gefunden hat, wurde diese Deklaration, dies »Gesetz«, sowohl 1375 von Papst Gregor XI. als auch 1516 von Papst Leo X. und dem V. Laterankonzil als dogmatische Aussage bestätigt, wurde sie ausdrücklich für gültig und verbindlich erklärt – und war doch nur, wie man einmal sagte, die Grabschrift auf die päpstliche Weltherrschaft. 22
Schon Bonifaz' Zeitgenossen haben »Unam sanctam« sehr beachtet, ausgiebig zitiert und erregt kritisiert. Auf katholischer Seite wurde sogar versucht, das peinliche Dokument als Fälschung zu erweisen, obwohl es doch in den päpstlichen Registerbänden steht, auch nichts bringt, um es zu wiederholen, was nicht schon vor Bonifaz bedeutendere Kirchenlichter schrieben, für den protestantischen Kirchengeschichtler Hermann Schuster schlicht »unsterblich« ist, für Apologeten, darunter Papsthistoriker Franz Xaver Seppelt, aber »lediglich eine zeitgeschichtliche Bedeutung« hat, nur »zeitbedingt und zeitgebunden« ist. Was ja stimmt: da alles zeitbedingt und zeitgebunden, alles temporell ist – auch das, was die Herren ausnehmen möchten, weil bei ihnen sonst alles zusammenbricht, was es ohnehin tut. 23
Das Attentat von Anagni oder »wie der Erlöser verraten ...«
Inzwischen war der Konflikt mit dem König von Frankreich wieder aufgebrochen. Philipp hatte im Herbst 1301 den Bischof und Papstanhänger Bernard de Saisset von Pamiers, zu dem er schon früher in Gegensatz geraten war, wegen Hochverrat und Majestätsbeleidigung zu unbefristeter Haft verurteilt und seinen gesamten Besitz beschlagnahmt. Der Papst aber, der den Heißsporn absetzen sollte, hatte den Eingriff des Königs, ohne dessen Anschuldigungen überhaupt zu untersuchen, verdammt und am 5. Dezember 1301 die sofortige Freilassung Saissets befohlen. Er hatte Philipp gewährte Privilegien, eine schon genehmigte Steuerbefreiung wieder rückgängig gemacht und den französischen Episkopat im November 1302 zu einer Synode nach Rom gerufen; 39 Bischöfe kamen. Und die eben erscheinende Bulle »Unam sanctam« goß noch Öl ins Feuer.
Gleichwohl erstrebte Bonifaz eine Aussöhnung, selbstverständlich erst nach Erfüllung der von ihm diktierten Bedingungen. Kardinal Johannes Monachus (Jean Lemoine), der gefeierte Kanonist, sein Vizekanzler und enger Vertrauter, doch bald einer seiner heftigsten Antagonisten, überbrachte die Forderung nach Paris. Es folgten Erklärungen und Gegenerklärungen, Aktionen und Gegenaktionen. Schriftstücke wurden unterdrückt oder gefälscht. Es kam zu Bannungen und Konfiskationen; und es fehlte nicht an Insulten. Der König fiel unter sein Niveau oder zumindest unter das seiner Legisten, als er die Botschaft über die Alpen sandte: »An Bonifaz, der sich Papst nennt, wenig oder gar keinen Gruß. Deine höchste Albernheit soll wissen, daß wir in weltlichen Dingen niemandem Untertan sind.« Und der Adressat zögerte nicht, dies sogleich mit Zinsen heimzuzahlen: »Unsere Vorgänger haben drei Könige von Frankreich abgesetzt. Wisse, daß wir Dich absetzen können wie einen Stalljungen, falls sich dies als notwendig erweisen sollte.«
Bald ging es dem Papst gar nicht mehr um Bischof Saisset – erklärte er sich doch am 13. Januar 1302 mit dessen Gefangenhaltung durch den Erzbischof von Narbonne sogar einverstanden! Es ging um die plenitudo potestatis, die Suprematie der geistlichen Gewalt, ihre Überordnung über die säkulare, den König, der aber gar nicht daran dachte, sich in diesen Dingen dem Papst unterzuordnen. Gemäß seiner Regierungspraxis, selbst mehr im Hintergrund zu bleiben, nur die letzten Entscheidungen zu treffen, ließ er den Kampf besonders durch seinen Berater Pierre Flotte führen und, nach dessen Tod am 11. Juli 1302 in der Schlacht von Courtray (»Goldsporenschlacht«) gegen die siegenden Flamen, durch Guillaume de Nogaret, Dr. legum, Prof. legum, königlicher Rat, schließlich königlicher Siegelbewahrer (garde du sceau) und von stärkstem Einfluß auf den Regenten. 24
Am 12. März 1303 brandmarkte Nogaret in einer Sitzung des Staatsrats im Louvre die zahllosen und schrecklichen Vergehen dieses Papstes, dieses unrechtmäßigen Papstes, Simonisten, »Ketzers«, dieses abgründigen und bald einzukerkernden Sünders, dem man durch ein allgemeines Konzil, durch Neuwahl einen Nachfolger geben müsse. Eine weitere Zusammenkunft vieler Bischöfe, Äbte, weltlicher Großer im Louvre Mitte Juni
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