Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
kommandierten, ein Edelmann aus Dorlisheim und der Gastwirt Johannes Zimberlin aus Andlau mit angeblich geradezu charismatischen Führerqualitäten. Und genau wie »König Rindfleisch« berief er sich darauf, »durch göttliche Eingebung und ein himmlisches Orakel unter anderem die Weisung empfangen zu haben, daß im ganzen Land die Juden als Feinde Christi durch ihn und die ihm zur Seite stehenden Helfer vernichtet und aus dem Weg geräumt werden müßten« (Johann von Winterthur).
Mehr als 6000 Juden verblichen unter Christenpranken, und dies nach Heinrich von Dießenhofen, dem 1376 gestorbenen thurgauischen Chronisten, Chorherrn, Domherrn, Hochstiftsadministrator, »nur deswegen, weil deren Mörder ihnen die zeitlichen Güter entreißen wollten« (non ob aliud nisi quod eis bona temporalia auferre volebant occisores eorum). 45
Ebendarum ging es vor allem, wenn nicht ausschließlich, auch bei weiteren Verfolgungen in jenen Tagen, wobei die aktuellen Anlässe ganz verschieden sein konnten.
So melden die »Ensdorfer Annalen« lapidar: »1338. In diesem Jahr flog eine Menge von Heuschrecken. Im selben Jahr sind die Juden in Straubing verbrannt worden.« (1338. Hoc anno volavit multitudo locustarum. Eodem anno cremati sunt Judei in Straubing.) Auch die »Windberger Annalen« bringen diese Judenverbrennungen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Auftauchen der Heuschrecken: »Wurde das jüdische Volk dieser Zeit umgebracht, Als viele Heuschrecken durch die Lande flogen« ( ... est trucidatus, Cum volavere per terras multe locuste).
Die »Annales Windbergenses« beziehen aber auch das damalige Deggendorfer Pogrom mit ein, bei dem man sämtliche Juden der Stadt ermordet. Und zur Rechtfertigung der Deggendorfer Christen erfindet man Jahrzehnte später eine Hostienlegende; »ward«, sagt knapp die Regensburger Chronik, »das Hochwirdig Sacrament zu Deckendorf gefunden, das dan die Juden daselbs gemartert hetten, darumb wurden die Juden verprennt«. Eine mehr kosmetische Version lautet: »Es ist ohn hin ein landt- und weldtbekandte sache, welchergestalten anno 1337 von einen armen Christen Madl, welches ihre Claider versetzt habe: die Juden 9 heilig consecrirte Hostien überkommen, und mit diesen auf das ärgerlichiste umgegangen seyndt, welche sanctissimum bis auf diese Stundt auf eine Miraculose, und über natürliche weis sich selbst conserviret, wonach die von Deggendorf, mit beyhülff des Herrn von Degenberg die Juden sammentlich überfallen, verhergt [= beraubt, geplündert], verwüst, und verbrendt, und mit einem wortt völlig vertilgt haben, so mit gnädigst concedirt [= zugestanden] worden ist, all von denen Juden überkommenes vermögen vor aigen [= als Eigentum] zubehalten ...« 46
Tatsächlich hatte sich Herr Heinrich »von Gottes Gnaden Pfalzgraf zu Rhein und Herzog in Bayern« den Deggendorfer Judenschlächtern gegenüber äußerst großzügig erwiesen, hatte er alle, die »unsere Juden zu Deggendorf verbrannt und getötet haben«, urkundlich nicht nur seiner Huld versichert, sondern auch gestattet, daß sie, was immer sie den ermordeten Juden geraubt, was »heimlich oder öffentlich in ihre Gewalt gekommen ist, alles behalten sollen«, sogar auch alles, was sie hätten zurückzahlen müssen. »Darum sollen die Bürgschaften, Pfandbriefe und anderen Urkunden, die die Juden von ihnen innehatten, oder was sie ihnen sonst zurückzahlen sollten, völlig getilgt sein, und sie sollen daher dieser drei Sachen gegenüber uns und allen Leuten gänzlich ledig sein; auf ewig sollen sie an Leib und Gut ohne Bußleistung gegenüber uns, unseren Erben und Nachkommen und gegenüber allen unseren Beamten bleiben und sollen auch deswegen auf ewig von uns, unseren Erben und von allen unseren Beamten unangesprochen und unbehelligt bleiben.«
Ein großer Freispruch, Zuspruch. Doch Herzog Heinrich von Gottes Gnaden konnte sich dies leisten. Nachdem man nämlich in mindestens 21 Städten und Ortschaften des Herzogtums Niederbayern-Landshut Juden getötet hatte, folgte er dem Beispiel seiner Untertanen und löste auch sein eigenes Finanzproblem, indem er befahl, »alle Juden in Landshut zu verbrennen und zu töten, so daß nur wenige entkamen« (omnes Iudeos in Lansh[ut] comburere et interficere precebit, quod pauci evaserunt: Weihenstephaner Annalen).
Einige Jahrzehnte später gewährte Papst Bonifaz IX. der neuerrichteten Heiliggrabkirche zur Deggendorfer »Gnad« einen fünftägigen Ablaß (wie der Markuskirche von
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