Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
Venedig). Deggendorf, das die angeblich geschändete Hostie nun in einer Wallfahrtskirche verehrte, das auch einen »Judenaltar« bekam, auch ein schönes Bild von der Judenabschlachtung mit der Unterschrift: »Gott gebe, daß von diesem Höllengeschmais unser Vaterland jederzeit befreyet bleibe«, Deggendorf wurde zur »Gnadenstätte«. Ein grandioser Pilger betrieb setzte ein. »Mord, Raub und Gründung lukrativer Wallfahrtsstätten, das war die geniale ökonomische Kumulation« (Krämer-Badoni). Erst brauchte man 12, dann bis zu 30 Beichtväter, die Sache florierte, florierte noch im 20. Jahrhundert, noch nach Hitler, als der Regensburger Bischof die Grabwallfahrt völlig neu interpretierte als »Eucharistische Wallfahrt der Diözese« und der Pfarrer der »Gnad«-Kirche bei den »Gnad«-Feiern 1983 wahrhaft begnadet sagte: »Auf jeden Fall handelt es sich bei der Grabkirche um einen Sühnebau, gleich ob es sich um Sühne für den Hostienfrevel, wie es die Legende will, oder für den Judenmord handelt.«
Nun, macht man nicht Fortschritte?!
Die Pogrome jener Zeit reichten von Kärnten bis in die Rheinregionen, wobei überall die Juden »um viele Güter gebracht wurden, entweder ertränkt oder verbrannt oder aber ihrer Eingeweide beraubt jämmerlich zugrundegingen und viele arme Adelige und Bürger durch vernichtete [Schuld-]Urkunden reich machten«. Denn darum ging es. Religiös, missionarisch erreichte man bei den Juden wenig. Diffamierungen, Belehrungen, Bittgesänge, Bußtage, Strafen, Reliquienprozessionen, nichts verfing. Erst sobald man zum Messer griff, zur Axt, erst wenn man das Judenblut spritzen ließ und das von den Juden vergossene Blut des Gekreuzigten gerächt hatte oder auch, wie in Pulkau, »eine, wie es hieß, ganz und gar blutbefleckt Hostie« (hostia ut dicitur tota cruentata), ja, dann stellte man die gebenedeite Ordnung wieder her. Nur derart konnten sich einzelne oder ganze Gemeinden wenigstens kurzfristig sozusagen sanieren, stets mit christkatholischem Schwung. »Aufgrund dieses Ereignisses töteten die Christen, von göttlichem Eifer angetrieben, um das Fest des heiligen Georg alle Juden in Pulkau, Retz, Znaim, Horn, Eggenburg, Klosterneuburg und Zwettl, verbrannten sie und machten sie zu Asche.« 47
Ein Jahrzehnt später kulminierten die Verfolgungen in den Pestpogromen, die fast sämtliche jüdischen Gemeinden Deutschlands ausgelöscht haben; eine Katastrophe, die man mit der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg verglich.
Die Pest, von Mittelasien über die Krim nach Italien eingeschleppt, erfaßte zwischen 1347 und 1353 ganz Europa, zumal über die Seewege, die Häfen, vom Mittelmeer bis Skandinavien, von der Atlantikküste, der Nordsee, bis zum Ural. Und als sie ihre letzten Opfer 1353 in Rußland forderte, hatte sie 200000 Dörfer Europas menschenleer gemacht, etwa 30 Prozent seiner Gesamtbevölkerung verschlungen, 18 Millionen Menschen.
Stark begünstigt wurde das verheerende Umsichgreifen der Seuche durch schlimme wirtschaftliche und gesundheitliche Verhältnisse, durch Mißernten, Hungersnöte, eine vor allem Süddeutschland und die Alpenregionen heimsuchende Heuschreckenplage, wozu noch die notorischen Kriegsgreuel kamen. Eindringlich schildert Boccaccio die Situation. »Fast alle strebten zu ein und demselben grausamen Ziele hin, die Kranken nämlich und was zu ihnen gehörte, zu vermeiden und zu fliehen, in der Hoffnung sich auf solche Weise selbst zu retten. Einige waren der Meinung, ein mäßiges Leben, frei von jeder Üppigkeit, vermöge die Widerstandskraft besonders zu stärken ... Andere aber waren der entgegengesetzten Meinung zugetan und versicherten, viel zu trinken, gut zu leben, mit Gesang und Scherz umherzugehen, in allen Dingen, soweit es sich tun ließe, seine Lust zu befriedigen ... Es gab viele, die bei Tag oder Nacht auf offener Straße verschieden, viele, die ihren Geist in den Häusern aufgaben und ihren Nachbarn erst durch den Gestank, der aus ihren faulenden Leichen aufstieg, Kunde von ihrem Tode brachten.« 48
Natürlich hatte man diverse Erklärungsmodelle für den Schwarzen Tod, wenn auch keine gültige medizinische Erkenntnis.
Doch wußte man, wie immer in analogen Fällen, die Pest war eine Strafe, ein Gericht Gottes. Der liebe Himmelvater rächte sich, rächte sich für alles mögliche an der (ihm) mißratenen Menschheit. Das glaubten zumal auch die Flagellanten (flagellatores, cruciferi, paenitentes, besser noch gens sine capite genannt,
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