Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
je intensiver man in Feldzüge und Fehden verstrickt war, desto freiere Hand hatte der Papst im Süden, was er sogar unverfroren durchblicken ließ. Obschon aber wohl längst für einen Kandidaten entschieden, trat er nach außen strikt unparteiisch auf, verhandelte auch mit beiden. Auf Dauer freilich konnte er ohne starke Schutzmacht und ohne definitive Anerkennung seiner »Rekuperationen« durch das Reich, dem er schließlich beträchtliche Gebiete entwendet hatte, nicht bleiben. Doch erst als die Deutschen den Streit auf einem Fürstenkonvent unter sich auszumachen schienen – eine Nachricht, die an der Kurie wie eine Bombe einschlug –, pressierte es Innozenz. Mußte er ja jetzt um die angestrebte Schiedsrichterrolle, um seine Oberherrschaft fürchten.
So erklärte er sich, nach einer Phase scheinbarer Neutralität, um die Jahreswende 1200/1201, wie nach den Erfahrungen mit den Staufern, besonders mit Heinrich VI., nicht anders zu erwarten, »über Anspruch und Recht hinweg« (Kantorowicz), für den welfischen Prätendenten. Der bediente sich denn auch in seinen Briefen an ihn zwischen Oktober 1202 und Februar 1209 stets beflissen der Formel »Durch Gottes und des Papstes Gnade König der Römer« und garantierte in Ottos Namen übertretenden Fürsten die ungeschmälerte Bewahrung ihres Besitzes. Dabei war gerade dem »Günstling der Päpste«, der die hohen Geistlichen nur »Pfaffen« hieß, Interesse für Religion und Kirche »stets fremd« (Hauck).
Andererseits attestierten die Zeitgenossen dem Staufer – für Ernst Kantorowicz »vielleicht das sanfteste, mildeste Zepter, das je über Deutschland gewaltet« – nicht nur Sanftmut, Milde, Freigebigkeit, sondern auch gewissenhafte Erfüllung seiner Kirchenpflichten, wirkliches Frommsein, nannten sie ihn doch auch den frommen Fürsten, piissimus rex. Man sah ihn oft, mitten unter den Scholaren, den Chorknaben, in der Kirche. Auch seine Ehe mit Prinzessin Irene aus Byzanz, »Ros ohne Dorn und Taube sonder Gallen« (Walther von der Vogelweide), die ihm vier Töchter schenkte, war ganz offenbar intakt und glücklich.
Doch ein Staufer kam nicht in Frage. Schon weil »kein Papst einen Staufer liebte«. Weil bei einem Staufer stets die Umklammerung des Kirchenstaats drohte. Der Staufer war auch zu reich, der Weife vergleichsweise mittellos, sein Anhang kleiner, folglich mehr vom kurialen Beistand abhängig. Und schließlich glaubte man in Rom, den ungeistigen Haudegen Otto leicht austricksen zu können, schätzte ihn aber gerade deshalb als »Schwert der Kirche«.
In seiner rabulistischen »Erwägung der Reichssache bezüglich der drei Gewählten« (Deliberatio super facto imperii de tribus electis), zunächst den Kardinälen im geheimen Konsistorium vom 5. Januar 1201 bekundet, disqualifizierte der Papst so beredt wie scholastisch spitzfindig die beiden Staufer.
An Friedrich II. mißfiel ihm offenbar am meisten die drohende Verbindung von Siziliens Krone mit dem Kaisertum, an einer Erhebung Philipps von Schwaben die Gefahr der Erblichkeit der Kaiserwürde. Ja, Innozenz, der gern mit seinem »reinen Herzen, guten Gewissen« (corde puro et conscientia bona) protzte, stellte die Wahrheit auf den Kopf durch die Behauptung, nicht er habe Friedrich Schwaben und das Reich geraubt, sondern Philipp, der Onkel, und Philipp wolle ihn noch um Sizilien bringen. Überdies zählte er diesen, wie Friedrich I. und Heinrich VI., zu einer Sippe von Kirchenverfolgern (genere persecutorum). Und zwecks größerer Wirksamkeit seiner Entscheidung belegte er gleich Philipps Gefolge durch den Kardinallegaten Guido, einen der prominentesten römischen Kurialen, im Frühjahr in Köln mit dem Kirchenbann. Dies aber samt der Annullierung aller dem Staufer geleisteten Treueide förderte das Abwandern der geistlichen und weltlichen Fürsten zur Welfenpartei.
Die ganze apostolische Gunst fiel Otto zu.
Denn um vom Papst anerkannt zu werden, billigte er dessen territoriale Postulate und leistete am 8. Juni 1201 den berüchtigten, in verschiedenen Fassungen tradierten Neußer Eid, wodurch er auf viele Reichsrechte in Italien, überhaupt auf jede selbständige Politik dort verzichtete. Er beschwor besonders, Roms vorgebliche Rechtsund Gebietsansprüche in Mittelitalien, die sogenannten Rekuperationen, durchzusetzen und nicht zuletzt das Königreich Sizilien zu garantieren. Und noch außenpolitisch gängelte ihn der Papst, indem er Otto, trotz seines Widerwillens, zwang, mit dem französischen
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