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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Briten waren genauso verärgert über den russischen Einfluss auf Serbien. Laut ihrem Konsul in Belgrad wurde den Serben »eingeschärft, mit russischen Soldaten in Serbien zu rechnen, sobald Silistra gefallen ist – und sich einer Expedition gegen die südslawischen Provinzen Österreichs anzuschließen«. Auf Anweisung Palmerstons warnte der Konsul die Serben, dass Großbritannien und Frankreich jeglichen Aufrüstungsversuch Serbiens zur Unterstützung der Russen mit Waffengewalt bekämpfen würden. 9
    Unterdessen begannen die westlichen Flotten am 22. April, Ostersonntag im orthodoxen Kalender, ihren ersten Direktangriff auf russischem Boden, indem sie den wichtigen Schwarzmeerhafen Odessa beschossen. Die Briten hatten von gefangen genommenen Matrosen der Handelsmarine erfahren, dass die Russen in Odessa 60 000 Soldaten und ein großes Waffenarsenal zur Weiterbeförderung an die Donaufront angesammelt hätten (in Wirklichkeit spielte der Hafen keine militärisch bedeutsame Rolle und besaß nur ein halbes Dutzend Batterien zur Verteidigung gegen die alliierten Flotten). Sie schickten dem Gouverneur der Stadt, General Osten-Sacken, ein Ultimatum, in dem sie die Übergabe all seiner Schiffe verlangten. Als eine Antwort ausblieb, begannen sie das Bombardement mit einer Flotte aus neun Dampfern, sechs Raketenbooten und einer Fregatte. Der Beschuss dauerte elf Stunden lang und richtete enorme Schäden im Hafen an, zerstörte mehrere Schiffe und tötete Dutzende von Zivilisten. Sie verschonte auch Woronzows neoklassischen Palast auf der Klippe über dem Hafen nicht; eine Kanonenkugel traf die Statue des Duc de Richelieu, des ersten Gouverneurs von Odessa, doch ausgerechnet das Hotel London am Primorski-Boulevard trug von allen Gebäuden die schwersten Schäden davon.
    Während eines zweiten Bombardements am 12. Mai lief eines der britischen Schiffe, der Dampfer Tiger , in dichtem Nebel auf Grund und wurde vom Ufer her heftig beschossen. Einer kleinen Kosakenkompanie unter dem Befehl des jungen Fähnrichs Schtschegolow gelang es, die Besatzung gefangen zu nehmen. Die Briten versuchten, ihr Schiff zu verbrennen, während die Damen von Odessa, mit Sonnenschirmen ausgerüstet, das Gefecht vom Uferdamm her beobachteten, wo später Wrackteile, darunter Kästen mit englischem Rum, angeschwemmt wurden. Die Kosaken ließen die britische Mannschaft (24 Offiziere und 201 Matrosen) in die Stadt marschieren, wo man sie inhaftierte und demütigendem Spott durch russische Seeleute und Zivilisten aussetzte. Deren Empörung über den Zeitpunkt des Angriffs zur Osterzeit war durch ihre Priester geschürt worden. Immerhin erhielt der Kapitän des Schiffes, Henry Wells Giffard, der durch Artilleriefeuer verwundet worden war und am 1. Juni an Gangrän starb, in Odessa eine Bestattung mit vollen militärischen Ehren, und in einem Akt der Ritterlichkeit aus einem vergangenen Zeitalter schickte man seiner Witwe eine seiner Haarlocken nach England. Die Geschütze der Tiger wurden in Odessa als Kriegstrophäen ausgestellt. *
    Die Priester erklärten die Kaperung des britischen Dampfers zum Symbol göttlicher Rache für den Überfall am Karsamstag, der den Beginn eines Religionskriegs markiere. Der angeschwemmte Alkohol wurde rasch von den russischen Matrosen und Arbeitern an den Docks konsumiert, wonach es zu Schlägereien kam, bei denen mehrere Männer starben. Alsbald verkaufte man Schiffsteile als Souvenirs, und der Kosakenfähnrich Schtschegolow wurde über Nacht zum Volkshelden und später geradezu als Heiliger gefeiert. Armbänder und Medaillons mit seinem Konterfei standen selbst im fernen Moskau oder in St. Petersburg zum Verkauf, und es gab sogar eine neue Zigarettenmarke mit Schtschegolows Namen und seinem Bild auf der Schachtel. 10
    Der Beschuss von Odessa kündigte das Eintreffen der Westmächte in der Nähe der Donaufront an. Nun war die Frage, wie bald die Briten und Franzosen den Türken in Silistra zu Hilfe kommen würden. Paskewitsch, der befürchtete, dass die Fortsetzung der Offensive nach Konstantinopel übel für Russland ausgehen würde, plädierte für den Rückzug. Am 23. April schrieb er Menschikow, dem neu ernannten Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte auf der Krim:
    Unglücklicherweise sehen wir uns nun nicht nur mit den Seemächten konfrontiert, sondern auch mit Österreich, dem anscheinend von Preußen Beistand geleistet wird. England wird keine Ausgabe scheuen, um Österreich auf seine Seite zu bringen,

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