Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Don-Pacifico-Affäre.
***** In der Schlacht von Poltawa (1709) besiegte Peter der Große die Schweden und etablierte Russland als Ostseemacht.
****** Es ist eine der Ironien des Krimkriegs, dass Sidney Herbert, der britische Kriegsminister von 1852 bis 1855, ein Neffe dieses hohen russischen Generals und Anglophilen war. Dessen Vater, Graf Semjon Woronzow, wohnte 47 Jahre in London, die meiste Zeit davon nach seinem Abschied als russischer Botschafter. Semjons Tochter Catherine heiratete George Herbert, den Earl of Pembroke. Michail, der im Krieg gegen Napoleon als General diente, wurde 1823 zum Generalgouverneur von Neu-Russland berufen. Er trug erheblich zur Entwicklung von Odessa bei, wo er einen prächtigen Palast baute, förderte die Dampfschifffahrt auf dem Schwarzen Meer und kämpfte im Krieg gegen die Türken (1828/29). Der anglophilen Tradition seiner Familie folgend, errichtete Woronzow einen märchenhaften anglomaurischen Palast in Alupka an der Südküste der Krim, wo die britische Delegation 1945 während der Konferenz von Jalta untergebracht wurde.
******* Bis nach 1870 gab es keine russische Bibel, nur einen Psalter und ein Stundenbuch.
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Die Türken landen den ersten Treffer
Im März 1854 traf ein junger Artillerieoffizier namens Leo Tolstoi im Hauptquartier von General Michail Gortschakow ein. Er hatte sich 1852 zur Armee gemeldet – in dem Jahr, als er die literarische Welt durch die Veröffentlichung seines autobiografischen Romans Die Kindheit in der Zeitschrift Sowremennik (Zeitgenosse), dem damals wichtigsten Monatsjournal Russlands, auf sich aufmerksam gemacht hatte. Unzufrieden mit seinem leichtfertigen Leben als Aristokrat in St. Petersburg und Moskau, hatte er beschlossen, einen Neubeginn zu machen und seinem Bruder Nikolai in den Kaukasus zu folgen, als dieser nach einem Urlaub zu seiner dortigen Einheit zurückkehrte. Tolstoi wurde einer Artilleriebrigade in dem Kosakendorf Starogladskaja im Nordkaukasus zugewiesen. Er nahm an Angriffen auf Schamils muslimische Kämpfer teil und entging der Gefangennahme durch die Rebellen mehrere Male nur knapp. Nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Türkei beantragte er jedoch seine Versetzung an die Donaufront. Wie er seinem Bruder Sergej im November 1853 schrieb, wollte er in einem wirklichen Krieg aktiv sein: »Fast ein Jahr lang habe ich nur den einen Gedanken, mein Schwert in die Scheide zu stecken, und doch vermag ich es nicht. Da ich aber gezwungen bin, am Kriege teilzunehmen, so halte ich es für angenehmer, statt hier, in der Türkei zu kämpfen … « 1
Leo Tolstoi im Jahr 1854
Im Januar bestand Tolstoi die Fähnrichsprüfung, womit er den niedrigsten Offiziersrang in der Zarenarmee bekleidete, und brach in die Walachei zur 12. Artilleriebrigade auf. Er fuhr sechzehn Tage lang mit dem Schlitten durch den Schnee Südrusslands, bis er sein Gut Jasnaja Poljana am 2. Februar erreichte. Am 3. März reiste er erneut mit dem Schlitten weiter und dann, als der Schnee zu Schlamm wurde, mit einem Pferdegespann durch die Ukraine nach Kischinjow, bevor er am 12. März in Bukarest ankam. Zwei Tage später wurde Tolstoi von Fürst Gortschakow persönlich empfangen, der den jungen Grafen wie einen Verwandten behandelte. »Er umarmte mich, lud mich ein täglich zum Mittag zu kommen und will mich seinem Stab aggregieren«, ließ Tolstoi seine Tante Toinette am 17. März wissen.
Aristokratische Beziehungen hatten im russischen Heeresstab einen hohen Wert. Tolstoi wurde rasch in den gesellschaftlichen Wirbel von Bukarest einbezogen: Er besuchte Diners im Haus des Fürsten, erschien zu Kartenspielen und musikalischen Soireen in den Salons, besuchte die italienische Oper und das französische Theater – eine vollkommen andere Welt als die blutigen Schlachtfelder der nur ein paar Kilometer entfernten Donaufront. »Während Sie mich all den Gefahren des Krieges ausgesetzt wähnen, habe ich noch kein türkisches Pulver gerochen, sondern ich halte mich sehr ruhig in Bukarest auf, spaziere umher, mache Musik und esse Eiskrem«, schrieb er seiner Tante Anfang Mai. 2
Tolstoi traf in Bukarest rechtzeitig zum Beginn der Frühjahrsoffensive an der Donau ein. Der Zar war entschlossen, so bald wie möglich südwärts nach Warna und zur Schwarzmeerküste vorzustoßen, damit die Westmächte keine Zeit hatten, ihre Soldaten landen zu lassen und den russischen Marsch auf Konstantinopel zu stoppen. Der Schlüssel zu dieser Offensive war die Einnahme der türkischen
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