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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Lagerhalter John Rowe vom Nachschubamt entlud Sättel aus seiner Karre, um bei der Bergung der Opfer zu helfen, und stieß auf dem Rückweg, als er seine Fracht abholen wollte, auf eine Gruppe verwundeter Offiziere, darunter Hugh Annesley:
    Ein Offizier des 30. mit einem verwundeten Arm stützte nach Kräften einen Offizier der Scots Fusiliers Guards. Dieser Offizier beugte sich vor, und ihm tröpfelte Blut aus dem Mund. Er konnte nicht sprechen, doch er schrieb mit Bleistift in ein kleines Buch, er sei der Hon[ourable] Annesley; eine Kugel stecke in seiner Kehle, nachdem sie einige seiner Zähne und einen Teil seiner Zunge weggefegt habe. Er wollte wissen, in welchem Teil des Feldes (wenn ich es so nennen kann) der Arzt der Fusiliers seine Stellung habe und ob ich ihn dorthin befördern könne. Ich konnte ihm nichts über den Arzt sagen … Auch teilte ich ihm mit, dass der Gebrauch des Maultierkarrens nicht in meinem Ermessen liege und ich die mir aufgetragene Pflicht erfüllen müsse.
    Annesley blieb es überlassen, selbst einen Arzt zu finden. Welche Behandlung er erhielt, bleibt unbekannt, doch sie dürfte sich darauf beschränkt haben, ihm die Kugel herauszuschneiden, wahrscheinlich ohne Benutzung ordentlicher Verbände und ohne Chloroform, um den Schock und den Schmerz zu lindern. Behandlungen auf dem Schlachtfeld waren rudimentär. Der Stabsarzt der Leichten Division, George Lawson, führte seine Operationen auf dem Boden aus, bis man eine alte Tür entdeckte, die er zu einem behelfsmäßigen Operationstisch machte. 28
    Hugh Annesley nach seiner Rückkehr von der Krim.
    Das schwarze Pflaster bedeckte seine Wunde.
    Früh am folgenden Morgen füllte Somerset Calthorpe, ein Neffe von Lord Raglan und einer seiner Adjutanten, seine Feldflasche mit Branntwein und begab sich »zu einem Gange über das Schlachtfeld«:
    Die armen Verwundeten waren viel ruhiger als am Abend vorher; viele waren ohne Zweifel während der Nacht gestorben und viele waren zu erschöpft und schwach, um etwas Anderes zu können, als zu stöhnen. Ich fand Alle sehr durstig, und mein kleiner Vorrath war bald zu Ende; ich ging daher, mehr zu holen … Es war eine schreckliche Scene – Tod in jeder Gestalt und Form. Es fiel mir besonders auf, daß Alle, die durch das Herz oder den Kopf geschossen, mit einem Lächeln auf ihren Lippen gestorben waren und gewöhnlich auf dem Rücken lagen, mit ausgebreiteten Armen und Beinen … Alle, die in Angst und Pein gestorben schienen, waren durch den Leib geschossen, sie hatten meistentheils die Arme und Beine krampfhaft zusammengezogen und den Ausdruck ihrer Leiden noch im Gesichte. 29
    Die Russen waren nicht in der Lage, ihre Verwundeten vom Schlachtfeld zu bergen. *** Diejenigen, die noch gehen konnten, mussten sich selbständig nach Behandlung umsehen. Viele wankten zu den Verbandsstationen am Fluss Katscha, 15 Kilometer südlich der Alma, oder humpelten in den folgenden Tagen zurück nach Sewastopol. Ein russischer Sanitäter beschrieb die Szene am ersten Abend, während er mit seinen Fahrzeugen zur Katscha aufbrach:
    Hunderte von Verwundeten waren von ihren Regimentern zurückgelassen worden, und sie baten mit herzzerreißenden Schreien und Seufzern und flehenden Gesten, auf die Wagen und Kutschen gehoben zu werden. Aber was konnte ich für sie tun? Wir waren bereits völlig überladen. Ich versuchte, sie zu trösten, indem ich ihnen versicherte, dass ihre Regimentswagen zurückkommen würden, um sie abzuholen, was natürlich nicht zutraf. Ein Mann konnte sich kaum dahinschleppen – er hatte keine Arme mehr, und sein Bauch war durchschossen worden; einem anderen hatte man das Bein abgetrennt und den Kiefer zerschmettert, seine Zunge war herausgerissen und sein Körper mit Wunden bedeckt – nur seine Miene flehte um einen Schluck Wasser. Aber woher sollte ich auch nur das nehmen?
    Die rund 1600 russischen Verwundeten, die nicht mehr gehen konnten, blieben mehrere Tage auf dem Schlachtfeld liegen, bis die Briten und Franzosen, nachdem sie ihre eigenen Leute geborgen hatten, die Toten begruben und die noch Lebenden zu ihren Lazaretten in Scutari am Rand von Konstantinopel transportierten. 30
    Drei Tage nach der Schlacht schrieb William Russell über die »herumliegenden stöhnenden und zitternden« Russen:
    Einige waren zu Haufen zusammengeschoben worden, damit man sie leichter entfernen konnte. Andere starrten dich von den Büschen her mit der Grimmigkeit wilder Tiere an, während sie ihre Wunden

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