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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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umklammerten. Manche flehten in einer unbekannten Sprache, doch mit einem unmissverständlichen Tonfall um Wasser oder Beistand; dabei streckten sie ihre verstümmelten und zerschmetterten Gliedmaßen aus oder deuteten auf die Spur der Kugel, die sie zerfleischt hatte. Der mürrische, wütende, finstere Blick einiger dieser Männer war furchtbar. Fanatismus und unsterblicher Hass standen in ihren zornigen Augen, und wer sie mitleidig betrachtete, konnte endlich (wenn auch widerwillig) begreifen, wie diese Männer in ihrer wilden Leidenschaft die Verwundeten töten und auf den Sieger feuern konnten, der ihnen mit großzügiger Menschlichkeit im Vorbeigehen geholfen hatte. 31
    Es kam, wie erwähnt, vor, dass verwundete Russen auf britische und französische Soldaten schossen, die ihnen Wasser gegeben hatten. Auch wurde von Russen berichtet, die verwundete Feinde auf dem Schlachtfeld töteten. Die Ursachen waren Furcht und Hass auf den Gegner. Die Franzosen fanden durch die Vernehmung an der Alma gefangener russischer Soldaten heraus, dass »ihre Priester [den Russen] die unglaublichsten Geschichten erzählt hatten – dass wir Ungeheuer, fähig zu allergrößter Brutalität und sogar Kannibalen seien«. Berichte über diese »unehrenhaften« Tötungen empörten die britischen Soldaten und bestärkten die öffentliche Meinung darin, dass die Russen »nichts anderes als Wilde« seien. Diese Empörung war freilich scheinheilig, denn in vielen Fällen hatten britische Soldaten verwundete Russen getötet und sogar russische Gefangene erschossen, weil sie »lästig« seien. Nicht vergessen werden darf auch, dass die Briten zwischen den russischen Verwundeten dahinschritten, nicht nur um ihnen Wasser zu geben, sondern manchmal auch, um sie zu bestehlen. Sie rissen den Russen silberne Kreuze vom Hals, durchwühlten ihre Rucksäcke nach Souvenirs und nahmen den Lebenden und Toten ab, was ihnen gefiel. »Ich habe für Dich eine wunderbare Trophäe von der Alma, genau das Richtige für Dich«, schrieb Hugh Drummond von den Scots Guards an seine Mutter, »ein großes griechisches, silbernes Kreuz mit einer Eingravierung – unserem Erlöser, gefolgt von ein paar russischen Worten; es hing am Hals eines russischen Obersten, den wir töteten, und, armer Kerl, es berührte seine Haut.« 32
    * * *
    Wären die Alliierten von der Alma sofort weitermarschiert, hätten sie Sewastopol fast im Handstreich einnehmen können. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre es innerhalb von Tagen erobert worden – und das auf Kosten von relativ wenigen Menschenleben, verglichen mit den zigtausend Toten während der 349-tägigen Belagerung, die aus den Irrtümern und Verzögerungen der Alliierten folgte.
    Am 21. September herrschte Wirrwarr bei den russischen Streitkräften, und Sewastopol war praktisch schutzlos. Schlimmer noch, Menschikow beschloss, dass es nicht der Sache wert sei, noch mehr seiner demoralisierten Soldaten zur Verteidigung der Stadt einzusetzen. Sobald er die Überreste seines Heeres an der Katscha gesammelt hatte, machte er sich zu einem Marsch in Richtung Bachtschisserai auf, um die Alliierten daran zu hindern, die Krim bei Perekop zu isolieren, und um auf Verstärkungen vom russischen Festland zu warten. Damit ließ er Sewastopol in den Händen von nur 5000 Soldaten und 10 000 Matrosen zurück, die für diese Art Kriegführung gänzlich unausgebildet waren. Die Russen hatten nicht geglaubt, dass die Alliierten vor dem Frühling angreifen würden, und deshalb die Verteidigung von Sewastopol nicht verstärkt. Die nördlichen Befestigungen der Stadt waren seit ihrem Bau im Jahr 1818 nicht nennenswert verbessert worden. **** Die Mauern des Sternforts zerbröckelten nach Jahren der Vernachlässigung, und die Zahl der Geschütze reichte nicht aus, um einen ernsthaften Angriff abzuwehren. An der Südseite hatte Menschikow im Januar 1854 den Bau von drei neuen Batterien befohlen, doch die dortigen Anlagen waren in einer kaum besseren Verfassung. Die breiten Mauern an der Meerseite waren mit mächtigen Batterien ausgerüstet, und am Hafeneingang standen zwei gut bewaffnete Festungen, die Quarantäne-Batterie und das Alexander-Fort; alle zusammen waren der Schlagkraft der alliierten Flotte gewachsen, doch an der Landseite südlich von Sewastopol erwies sich die Verteidigung als relativ schwach. Eine einzige Steinmauer von etwa 4 Meter Höhe und 2 Meter Dicke – mit Erdwällen und Steinbatterien an den beherrschenden Positionen – schützte

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