Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
gewesen war. Hätte man die Stadt rasch erobert, wäre dies unerheblich gewesen, doch nachdem die alliierten Befehlshaber einen Handstreich ausgeschlossen hatten, blieben sie letztlich dem konventionellen militärischen Denken darüber verhaftet, wie eine Belagerung durchzuführen sei, Vorstellungen, die auf das 17. Jahrhundert zurückgingen. Dazu gehörte das langsame und methodische Ausheben von Gräben in Richtung der Verteidigungsanlagen, damit die Stadt durch Artillerie beschossen werden konnte, bevor die Soldaten angriffen. Die Franzosen sprachen sich für eine längere Belagerung aus und brachten die Briten dazu, sich ihrer traditionellen Denkweise anzuschließen. Ein solches Vorgehen schien weniger riskant zu sein als eine schnelle Erstürmung. Burgoyne, der oberste technische Offizier, der für einen raschen Angriff gewesen war, änderte seine Meinung mit der absurden Begründung, dies würde 500 Leben kosten, Verluste, die seiner Meinung nach »auf keine Weise zu rechtfertigen« seien, und das, obwohl die Alliierten bereits 3000 Gefallene an der Alma zu beklagen hatten (und Zehntausende von Männern durch die Belagerung verlieren sollten). 36
Am 23. September begann der Marsch nach Süden erneut. Zwei Tage lang durchquerten die alliierten Einheiten das fruchtbare Tal der Flüsse Katscha und Belbek und pflückten Trauben, Pfirsiche, Birnen und Beeren, die auf den verlassenen Bauernhöfen reiften. Erschöpft und kampfmüde, brachen viele Soldaten wegen Dehydrierung zusammen, und während des gesamten Marsches mussten Kolonnen anhalten, um Choleraopfer zu begraben. Dann begannen die Heere, die Stadt zu umgehen, indem sie sich einen Weg durch die dichten Eichenwälder der Inkerman-Höhen bahnten, bis sie die Lichtung bei Mackenzies Hof, benannt nach einem schottischen Siedler des 18. Jahrhunderts, erreichten. An dieser Stelle stieß die Vorhut der britischen Kavallerie auf Menschikows Nachhut, die nordöstlich nach Bachtschisserai unterwegs war. Hauptmann Louis Nolan von den 15. King’s Hussars, der zum vorgeschobenen Teil von Lord Raglans Stab gehörte, war der Ansicht, dass dies eine Gelegenheit für die Kavallerie sei, den Russen einen schweren Schlag zuzufügen. Seit der Landung auf der Krim war Nolan zunehmend frustriert über das Unvermögen der britischen Befehlshaber, die Kavallerie – zuerst am Bulganak und dann an der Alma – auf die sich zurückziehenden russischen Streitkräfte loszulassen. Deshalb war Nolan außer sich vor Wut, als ein Angriff der Husaren auf die russische Nachhut von Lord Lucan abgebrochen wurde. In seinem Feldtagebuch beschrieb Nolan, wie er von den Mackenzie-Höhen auf die fliehenden Russen hinunterschaute:
Die Geschütze, die man mitgenommen hatte, zogen die Straße unter uns auf einigen der wenigen Kanonenwagen des Konvois entlang, denen die Flucht gelungen war. Verstreute Infanteristen liefen ohne Waffen und Helme an den Seiten des steilen Hangs hinunter, bis ein paar Schüsse aus unseren Kanonen sie zu der russischen Armee eilen ließen, die sich unten in dichten Kolonnen formiert hatte. Zwei unserer Kavallerieregimenter rückten auf der Straße ins Tal vor und erbeuteten insgesamt 22 Wagen und Pferde, darunter General Gortschakows Reisekutsche mit zwei edlen Rappen. 37
Die alliierten Kolonnen zogen sich zunehmend in die Länge, da erschöpfte Nachzügler zurückblieben oder sich in den dichten Wäldern verirrten. Die Disziplin brach zusammen, und viele Soldaten plünderten, wie die Kosaken vor ihnen, verlassene Höfe und Güter in der Umgebung von Sewastopol. Der Palast der Bibikows wurde von französischen Soldaten mutwillig beschädigt und ausgeraubt. Sie stahlen Champagner und Burgunder aus den großen Kellern und randalierten, indem sie Möbel aus den Fenstern warfen, Scheiben zerschmetterten und ihren Darm auf den Fußböden entleerten. Marschall Saint-Arnaud, der anwesend war, tat nichts, um die Plünderei zu verhindern, die er als Belohnung für seine erschöpften Männer betrachtete. Er nahm sogar einen kleinen Säulentisch als Geschenk von seinen Soldaten entgegen und ließ ihn seiner Frau in Konstantinopel schicken. Einige der Zuaven (die für ihre schauspielerischen Neigungen bekannt waren) zogen Frauenkleidung an und veranstalteten eine Pantomime. Andere fanden einen Konzertflügel und spielten Walzer, zu denen ihre Kameraden tanzten. Die Eigentümer des Palastes waren nur wenige Minuten vor der Ankunft der Franzosen abgereist, wie einer ihrer Offiziere
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