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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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nur Teile der Stadt. Nicht all diese Befestigungen konnten dem Beschuss durch Granaten standhalten, und die Steinmauer war nur Musketen gewachsen. Insgesamt wirkte die Stadt äußerst verwundbar, und man erwartete, dass sie jederzeit fallen würde. Laut Totleben, der die Verantwortung für die Verteidigungsanlagen übernehmen musste, »gab es praktisch nichts, was den Feind daran hinderte, in die Stadt hineinzumarschieren«. 33
    Statt sich rasch nach Sewastopol zu begeben, um dessen Verteidigung zu übernehmen, ließen sich die russischen Einheiten, die sich vom Schlachtfeld an der Alma zurückzogen, ablenken und aufhalten, indem sie die Güter plünderten, welche die Eigentümer beim Erhalt der Nachricht über die Niederlage aufgegeben hatten. Von ihren Regimentern und den Offizieren getrennt, verloren die Soldaten jegliche Disziplin. »Die Kosaken waren die schlimmsten Missetäter«, erinnerte sich ein Augenzeuge, »denn es gab nichts, was sie nicht stahlen.«
    Wenn sie ein verriegeltes Haus vorfanden, zertrümmerten sie die Türen und Fenster, stürmten durch die Zimmer und nahmen alles mit, was sie tragen konnten. In der Annahme, dass die Eigentümer Geld, Diamanten und andere Kostbarkeiten im Haus versteckt hatten, durchwühlten die Soldaten alles – sogar Kissen auf den Diwanen und Sesseln. Bücher und Bibliotheken wurden zerstört. Große Spiegel, die von den Soldaten nicht benutzt werden konnten, wurden zerbrochen, wonach sie sich ein Stück davon in die Tasche steckten. 34
    Die alliierten Befehlshaber ahnten nichts von dieser Schwäche und Unordnung der Russen. Raglan hatte im Einklang mit den Kriegsplänen der Alliierten so schnell wie möglich nach Sewastopol vorrücken wollen, doch diesmal waren die Franzosen noch nicht bereit, denn sie hatten ihre Rucksäcke an der anderen Seite der Alma zurückgelassen, ehe sie die Klippen erklommen, und benötigten nun Zeit, um ihr Gepäck zu bergen. Im Unterschied zu den Briten hatten sie nicht genug Kavallerieeinheiten, um die Russen verfolgen zu können, und waren daher weniger geneigt voranzueilen. Nachdem sie sich das Heft aus der Hand hatten nehmen lassen, zögerten die alliierten Befehlshaber bei ihren nächsten Schritten. Tatarische Spione hatten ihnen fälschlich mitgeteilt, dass das Sternfort uneinnehmbar sei, dass Menschikow es mit allen Kräften verteidigen wolle und dass die Stadt an der Südseite fast ungeschützt sei. Dies veranlasste die Alliierten, ihren ursprünglichen Plan eines Überraschungsangriffs von Norden her aufzugeben und stattdessen um die Stadt herum zur Südseite zu marschieren – ein Vorgehen, für das sich Sir John Burgoyne, der höchste technische Offizier, entschieden einsetzte. *****
    Die Änderung des Planes hing auch mit der kühnen Entscheidung der Russen zusammen, ihre eigene Flotte zu sprengen. Die Kommandeure der Schwarzmeerflotte hatten eingesehen, dass die Alliierten ihnen an Geschwindigkeit und Schlagkraft überlegen waren, woraufhin sie fünf Segelschiffe und zwei Fregatten an der Hafeneinfahrt versenkten, um den Zugang zu blockieren und die alliierten Schiffe daran zu hindern, einen Angriff aus dem Norden zu unterstützen. Die betroffenen Schiffe wurden an die Hafenmündung geschleppt, ihre Fahnen eingeholt und Gottesdienste abgehalten, um sie dem Untergang zu weihen. Dann, um Mitternacht am 22. September, wurden die Schiffe zerstört. Eine Fregatte, Die drei Heiligen , musste am folgenden Morgen zwei Stunden lang aus nächster Nähe von einem Kanonenboot beschossen werden, bevor sie sank. Die alliierten Armeen, die sich an der Katscha befanden, hörten den Lärm, und nachdem man die Ursache entdeckt hatte, erklärte Saint-Arnaud: »Was für eine Parodie auf Moskau 1812.« 35
    Da der Hafen blockiert war und die alliierten Befehlshaber nicht mit Unterstützung durch ihre eigenen Schiffe rechnen konnten, erschien es ihnen zu gefährlich, Sewastopol von Norden her anzugreifen. Deshalb legten sie sich auf einen Ansturm aus dem Süden fest, wo ihre Schiffe die Häfen Balaklawa (für die Briten) und Kamiesch (für die Franzosen) benutzen und den Heeren Beistand leisten konnten. Dies war eine fatale Fehleinschätzung – nicht bloß, weil die Verteidigungsanlagen der Stadt an der Südseite in Wirklichkeit stärker waren. Die Verlagerung in den Süden von Sewastopol erschwerte es den alliierten Armeen, die russische Nachschubroute vom Festland abzuschneiden, was eigentlich ein wesentliches Element des strategischen Planes

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