Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Verbandsmaterial herzustellen, soll sie sogar ihre eigene Kleidung zerrissen und mit Essig gesäubert haben. Die Soldaten durchschauten ihre Verkleidung, doch sie durfte ihre heroische Arbeit in der Verbandsstation an der Katscha und dann, während der Belagerung, als Krankenschwester in den Lazaretten von Sewastopol fortsetzen. Legenden kursierten über die »Heldin von Sewastopol«, und bald symbolisierte sie den patriotischen Geist des einfachen Volkes sowie den »Opfergeist« der russischen Frauen, den Dichter wie Alexander Puschkin romantisch verklärt hatten. Die Soldaten in den Lazaretten von Sewastopol, die ihren Familiennamen nicht kannten, nannten sie Dascha Sewastopolskaja, und so ging sie in die Geschichte ein. Im Dezember 1854 verlieh der Zar ihr die Goldmedaille für besonderen Einsatz und machte sie damit zur einzigen Russin nichtadeliger Herkunft, die jemals eine solche Ehrung empfing; die Kaiserin schenkte ihr ein silbernes Kreuz mit der Inschrift »Sewastopol«. Im Jahr 1855 heiratete Daria einen verwundeten Soldaten im Ruhestand und eröffnete eine Schänke in Sewastopol, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1892 wohnte (H. Rappaport, No Place for Ladies. The Untold Story of Women in the Crimean War [London 2007], S. 77).
**** Der technischen Abteilung des Kriegsministeriums war es nicht gelungen, einen Plan von 1834 zur Verstärkung der Verteidigungsanlagen in die Praxis umzusetzen. Man berief sich auf den Mangel an finanziellen Mitteln, obwohl gleichzeitig Millionen für die Befestigung von Kiew, das mehrere hundert Kilometer von der Grenze entfernt war, ausgegeben wurden. Aus Angst vor einem österreichischen Angriff durch Südwestrussland hatte Nikolaus I. eine große Truppenreserve im Kiewer Gebiet stationiert, was er in Sewastopol nicht für nötig hielt, da er die Gefahr einer Attacke durch die Türken oder die Westmächte im Schwarzen Meer außer Acht ließ. Er hatte die bedeutende Rolle von Dampfschiffen übersehen, die es ermöglichten, große Heere auf dem Seeweg zu transportieren.
***** Laut einer russischen Quelle wurden die tatarischen Spione auf Befehl der Briten erschossen, nachdem man die Wahrheit herausgefunden hatte (S. Gerschelman, Nrawstwenny element pod Sewastopolem [St. Petersburg 1897], S. 86).
****** Ein abwertender Begriff für einen Balkanchristen.
******* Nach der russischen Übernahme der Krim war der Giray-Clan ins Osmanische Reich geflohen. Im frühen 19. Jahrhundert hatten die Girays den Osmanen auf dem Balkan als Verwalter gedient und sich dem Militär angeschlossen. Das Osmanische Reich verfügte über verschiedene aus Krim-Emigranten bestehende Einheiten. Sie kämpften 1828/29 gegen die Russen und gehörten 1853/54 den türkischen Streitkräften an der Donaufront an. Mussad Giray war in Warna stationiert. Dort überredete er die alliierten Befehlshaber, ihn mit auf die Krim zu nehmen, damit er ihnen die Unterstützung der Tataren sichern könne. Am 20. September schickten die Alliierten Mussad Giray zurück zum Balkan und lobten ihn für seine Bemühungen, da er seine Aufgabe erfüllt habe. Nach dem Krimkrieg verliehen die Franzosen ihm den Orden der Ehrenlegion.
******** Balaklawa (ursprünglich Bella Clava, »Schöner Hafen«) hatte seine Bezeichnung von den Genuesern erhalten, die einen großen Teil des Hafens erbauten und ihn gedeihen sahen, bis sie im 15. Jahrhundert von den Türken vertrieben wurden. Diese plünderten den Ort, der dann bis ins 19. Jahrhundert mehr oder weniger eine Ruine blieb. Allerdings gab es ein Kloster in den Hügeln oberhalb von Balaklawa, wo auch einige griechische Soldaten stationiert waren, die jedoch vor den Alliierten die Flucht ergriffen.
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Sewastopol im Herbst
Hätte Herbé Sewastopol aufsuchen können, wie Tolstoi es im November 1854 tun sollte, hätte er die Stadt in erhöhter Alarmbereitschaft und fieberhafter Aktivität vorgefunden. In der schwungvollen Eröffnungspassage seiner Sewastopoler Erzählungen beschreibt Tolstoi einen frühen Morgen, an dem die Stadt zum Leben erwachte:
Auf der Nordseite weicht die nächtliche Ruhe allmählich dem Getriebe des Tages. Hier zieht, mit den Gewehren klirrend, eine Mannschaft zur Ablösung der Wache vorüber, dort eilt ein Arzt bereits dem Lazarett zu; ein Soldat, der aus dem Unterstand hervorgekrochen ist, wäscht sich das sonnengebräunte Gesicht mit vereistem Wasser, wendet sich dem rot aufleuchtenden Osten zu und verrichtet, hastig das Kreuz schlagend, sein Morgengebet;
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