Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Siedlerwelle beanspruchte sie für sich. Zum Beispiel steht in dem Küstenort Sudak eine Kirche des heiligen Matthäus. Sie war ursprünglich als Moschee gebaut worden, doch die Griechen hatten sie später zerstört und an ihrer Stelle eine orthodoxe Kirche errichtet. Die Genueser, die im 13. Jahrhundert auf der Krim eintrafen, machten das Gebäude zu einer katholischen Kirche, bevor die Osmanen es erneut in eine Moschee umwandelten. Es blieb eine Moschee bis zur russischen Annexion, nach der es wieder als orthodoxe Kirche diente. 21
Durch den Anschluss der Krim an Russland hatte das Reich 300000 neue Untertanen gewonnen, fast ausschließlich muslimische Tataren und Nogaier. Die Russen versuchten, die lokalen Würdenträger (Beys und Mirzas) in ihre Verwaltung einzubeziehen, und schlugen ihnen vor, sich zum Christentum bekehren und in den Adelsstand erheben zu lassen. Ihr Angebot wurde freilich ignoriert. Die Macht dieser Würdenträger hatte sich nie aus dem Staatsdienst, sondern aus ihrem Landbesitz und der Sippenpolitik hergeleitet: Solange sie ihr Land nicht aufzugeben brauchten, zogen die meisten es vor, ihren Status im Gemeinwesen zu behalten, statt ihren neuen imperialen Herren zu dienen. Die Mehrheit hatte Verwandtschafts-, Handels- oder Religionsbeziehungen zum Osmanischen Reich, und viele emigrierten nach der russischen Machtergreifung dorthin.
Gegenüber den tatarischen Bauern vertraten die Russen einen brutaleren politischen Standpunkt. Leibeigenschaft war auf der Krim, im Gegensatz zum größten Teil Russlands, unbekannt. Die neue Reichsregierung akzeptierte die Freiheit der Tataren und machte sie zu Staatsbauern (einer separaten juristischen Kategorie, verglichen mit den Leibeigenen). Die fortgesetzte Loyalität der Tataren gegenüber dem osmanischen Kalifen, an den sie sich in ihren Freitagsgebeten wandten, wurde von den Russen allerdings als anhaltende Provokation empfunden und weckte Zweifel an der Aufrichtigkeit des Treueeides auf den Zaren, den die neuen Untertanen abzulegen hatten. Während der vielen Kriege mit den Osmanen im 19. Jahrhundert hatten die Russen stets Angst vor tatarischen Revolten auf der Krim. Sie bezichtigten muslimische Führer, für einen türkischen Sieg zu beten, und tatarische Bauern, ihre Befreiung durch die Türken zu erhoffen – und dies ungeachtet der Tatsache, dass die muslimische Bevölkerung bis zum Krimkrieg überwiegend Treue gegenüber dem Zaren bewies.
Überzeugt von tatarischer Niedertracht, taten die Russen, was sie konnten, um die neuen Untertanen zum Verlassen ihrer Heimat zu zwingen. Der erste Massenexodus von Krimtataren in die Türkei ereignete sich während des russisch-türkischen Krieges von 1787–1792. In erster Linie handelte es sich um eine panische Flucht von Bauern, die sich vor Vergeltungsmaßnahmen der Russen fürchteten. Die Tataren wurden indessen auch durch eine ganze Reihe anderer russischer Aktionen vertrieben, darunter die Beschlagnahme ihres Landes, hohe Besteuerung, Zwangsarbeit und physische Bedrohung durch Kosakeneinheiten. Um 1800 war fast ein Drittel der krimtatarischen Bevölkerung, ungefähr 100000 Menschen, ins Osmanische Reich emigriert; weitere 10000 verließen ihre Heimat im Gefolge des russisch-türkischen Krieges von 1806–1812. Ihren Platz nahmen russische Siedler und andere Ostchristen ein: Griechen, Armenier, Bulgaren, von denen wiederum viele das Osmanische Reich verlassen hatten, um sich in die Zuflucht eines christlichen Staates zu begeben. Der Exodus der Krimtataren markierte den Beginn eines allmählichen Rückzugs der Muslime aus Europa. Er war Teil einer langen Geschichte des demografischen Austausches und des ethnischen Konflikts zwischen der osmanischen und der orthodoxen Sphäre, und diese Entwicklung sollte bis zu den Balkankrisen des späten 20. Jahrhunderts andauern. 22
Die Christianisierung der Krim vollzog sich auch durch die prächtige Formgebung für Kirchen, Paläste und neoklassische Städte, mit der man sämtliche muslimischen Spuren im äußeren Erscheinungsbild beseitigen wollte. Katharina malte sich die Krim als südliches Paradies Russlands aus, als Lustgarten, in dem die Früchte ihrer aufgeklärten christlichen Herrschaft genossen und der Welt jenseits des Schwarzen Meeres vorgeführt werden konnten. Sie zog den griechischen Namen der Halbinsel – Taurida – der tatarischen Bezeichnung – Krym – vor, weil Russland dadurch ihrer Meinung nach mit der hellenischen Kultur von Byzanz
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