Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
verknüpft wurde. Auch gewährte sie russischen Adligen enormen Grundbesitz, damit diese herrliche Güter an der gebirgigen Südküste, deren Schönheit jener der Amalfiküste gleichkam, gründen konnten; ihre klassischen Gebäude, mediterranen Gärten und Weinberge sollten dem früher heidnischen Land eine neue christliche Kultur nahebringen.
Die Stadtplanung vertiefte die russische Herrschaft über die Krim: Alte Tatarenorte wie Bachtschisserai, die Hauptstadt des früheren Khanats, wurden heruntergestuft oder völlig aufgegeben. Ethnisch gemischte Städte wie Theodosia oder Simferopol, die russische Verwaltungshauptstadt, wurden nach und nach vom zaristischen Staat umgestaltet, indem man das Zentrum aus dem alten Tatarenviertel in neue Bezirke verlegte, wo russische Kirchen und Amtsgebäude entstanden; und neue Städte wie Sewastopol, der russische Marinestützpunkt, wurden ganz und gar in neoklassischem Stil errichtet. 23
Der Kirchenbau in der neuen Kolonie ging relativ langsam vonstatten, so dass in vielen Städten und Dörfern weiterhin Moscheen die markanten Gebäude waren. Im frühen 19. Jahrhundert konzentrierte man sich jedoch intensiv auf die Entdeckung christlicher archäologischer Überreste, byzantinischer Ruinen, asketischer Höhlenkirchen und Klöster. All das war Teil des wohldurchdachten Bemühens, die Krim wieder zu einer heiligen christlichen Stätte zu machen, einem russischen Berg Athos, einem Pilgerziel für jene, die eine Beziehung zur Wiege des slawischen Christentums herstellen wollten. 24
Der wichtigste heilige Ort war natürlich das Ruinengelände von Chersonessos, das die Reichsverwaltung 1827 hatte ausgraben lassen. Später errichtete man dort eine Kirche des heiligen Wladimir, um den Ort zu markieren, an dem der Großfürst angeblich die Kiewer Rus zum Christentum bekehrt hatte. Es erwies sich als eine der symbolischen Ironien der Geschichte, dass diese heilige Stätte nur ein paar Meter von der Stelle entfernt war, wo die französischen Streitkräfte während des Krimkriegs landeten und ihr Lager aufschlugen.
* In mittelalterlichen russischen Chroniken heißt es, Japhets Ländereien seien nach der im Buch Genesis beschriebenen Flut von den Rus und anderen Stämmen besiedelt worden.
** Die Russen weiteten ihr Festungssystem am Fluss Terek (die »Kaukasuslinie«) stetig aus und nutzten ihr neues Protektorat über das orthodoxe georgische Königreich Kartli-Kacheti dazu, eine Operationsbasis gegen die Osmanen aufzubauen, indem sie Tiflis besetzten und das Fundament für die georgische Heerstraße legten, die Russland mit dem Südkaukasus verband.
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Orientalische Fragen
Der Sultan ritt auf einem Schimmel an der Spitze der Prozession, hinter ihm ging sein Gefolge aus Ministern und Beamten. Unter dem Donnern eines Artilleriesaluts traten sie durch das Kaisertor des Topkapi-Palasts hinaus in die Mittagshitze eines Julitages in Konstantinopel, der türkischen Hauptstadt. Es war Freitag, der 13. Juli 1849, der erste Tag des muslimischen Fastenmonats Ramadan. Sultan Abdülmecid schickte sich an, die große Moschee Hagia Sophia wieder einzuweihen. In den vergangenen beiden Jahren hatte man sie zum Zweck dringender Renovierungen geschlossen, denn das Gebäude war nach vielen Jahrzehnten der Vernachlässigung äußerst baufällig geworden. Der Sultan ritt durch die Menge, die sich auf dem Platz an der Nordseite der früheren orthodoxen Basilika versammelt hatte. Dort erwarteten ihn seine Mutter, seine Kinder und sein Harem in goldbeschlagenen Kutschen. Am Eingang der Moschee wurde er von seinen religiösen Würdenträgern empfangen. Abweichend von der islamischen Tradition, die Nichtmuslime ausdrücklich von solchen heiligen Zeremonien ausschloss, waren auch die beiden Schweizer Architekten Gaspare und Giuseppe Fossati anwesend, welche die Restaurierung beaufsichtigt hatten.
Die Fossatis führten Abdülmecid durch eine Reihe von Privatgemächern zur Sultansloge im Hauptgebetssaal, den sie auf Befehl des Herrschers, dessen Insignien über der Eingangstür angebracht waren, rekonstruiert und im neobyzantinischen Stil ausgeschmückt hatten. Nachdem die Würdenträger im Saal zusammengekommen waren, wurden die Konsekrationsriten vom Scheichülislam ausgeführt, dem höchsten religiösen Amtsinhaber im Osmanischen Reich, den europäische Besucher (fälschlich) mit dem Papst gleichsetzten. 1
Es war ein außergewöhnlicher Anlass, denn der Sultan-Kalif und die Religionsführer des größten
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