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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Zeitpunkt für einen russischen Herrscher, sich an der Restaurierung einer Moschee zu beteiligen, die für die religiösen und politischen Ansprüche des Osmanischen Reiches auf die früheren Gebiete von Byzanz eine so zentrale Rolle spielte. Aber der Kern des Konflikts, der schließlich zum Krimkrieg führte, bestand aus Russlands eigenem religiösen Anspruch, die Christen des Osmanischen Reiches anzuführen und zu beschützen – ein Anspruch, der es schließlich danach streben ließ, die Hagia Sophia als Mutterkirche und Konstantinopel als Hauptstadt eines riesigen orthodoxen Imperiums, das Moskau mit Jerusalem verband, zu gewinnen.
    Mosaiktafel über dem Kaisertor der Hagia Sophia. Die Fossatis malten den achtzackigen Stern über ein verputztes Mosaik, das den byzantinischen Kaiser kniend vor dem inthronisierten Christus zeigt.
    Die Studien der Fossatis sollten erst über ein Jahrhundert später veröffentlicht werden, wenngleich der preußische König Friedrich Wilhelm IV ., der Schwager von Nikolaus I., den deutschen Archäologen Wilhelm Salzenberg beauftragte, einige Zeichnungen der byzantinischen Mosaiken anzufertigen, die 1854 in Berlin herauskamen. 5 Erst durch diese Zeichnungen erfuhr die Welt des 19. Jahrhunderts von den verborgenen christlichen Schätzen der Hagia-Sophia-Moschee. Auf Anordnung des Sultans wurden die Figurenmosaiken erneut mit Gips bedeckt und im Einklang mit muslimischen religiösen Bräuchen, welche die bildliche Darstellung von Menschen verbieten, übermalt. Die Fossatis durften allerdings die rein dekorativen byzantinischen Mosaiken weiterhin zur Schau stellen, und sie malten sogar Verzierungen, die den noch vorhandenen Mosaikmustern entsprachen, auf die getünchten Tafeln über den Menschenabbildungen.
    Das Schicksal der byzantinischen Mosaiken illustrierte anschaulich die komplexen, sich überschneidenden und miteinander konkurrierenden Ansprüche der muslimischen und der christlichen Kultur im Osmanischen Reich. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Konstantinopel die Hauptstadt eines multinationalen Reiches, das sich vom Balkan bis zum Persischen Golf und von Aden bis nach Algerien erstreckte und 35 Millionen Menschen umfasste. Die Muslime stellten eine absolute Mehrheit, denn sie machten etwa 60 Prozent der Bevölkerung aus, waren aber fast ausschließlich auf die asiatische Türkei, Nordafrika und die Arabische Halbinsel beschränkt; die Türken selbst hingegen waren eine Minderheit von vielleicht 10 Millionen, die sich hauptsächlich auf Anatolien konzentrierte. In den europäischen Gebieten des Sultans, die überwiegend von Byzanz erobert worden waren, bestand die Mehrheit seiner Untertanen aus orthodoxen Christen. 6
    Seit ihren Ursprüngen im 14. Jahrhundert hatte die herrschende osmanische Dynastie des Reiches ihre Legitimität aus dem Ideal eines anhaltenden heiligen Krieges bezogen, der dazu dienen sollte, die Grenzen des Islams auszuweiten. Die Osmanen waren freilich Pragmatiker, keine religiösen Fundamentalisten, und in ihren christlichen Gebieten, den wohlhabendsten und am dichtesten bevölkerten des Reiches, milderten sie ihre ideologische Feindseligkeit gegenüber den Ungläubigen durch ein praktisches Verfahren, das deren Ausbeutung für staatliche Interessen begünstigte. Sie erlegten den Nichtmuslimen zusätzliche Steuern auf, sahen auf sie als minderwertige »Tiere« ( rayah ) herab und behandelten sie ungleich und auf erniedrigende Art (zum Beispiel durften Christen in Damaskus keinerlei Reittiere benutzen). 7 Die Osmanen ließen die Nichtmuslime dafür weiterhin ihre Religion ausüben, verfolgten sie im Allgemeinen nicht, verzichteten auf den Versuch, sie zu bekehren, und gewährten Nichtmuslimen durch das Millet-System der Religionstrennung, das Kirchenführern Macht innerhalb ihrer separaten glaubensgestützten »Nationen« oder Millets einräumte, sogar ein gewisses Maß an Autonomie.
    Das Millet-System hatte sich als eine Möglichkeit für die osmanische Dynastie entwickelt, religiöse Eliten in neu eroberten Territorien als Vermittler einzusetzen. Solange sich Kirchenführer der osmanischen Autorität unterwarfen, durften sie eine beschränkte Kontrolle über Erziehung, öffentliche Ordnung und Rechtswesen, Steuereinziehung, Wohltätigkeit und klerikale Angelegenheiten ausüben, die Zustimmung der muslimischen Beamten des Sultans vorausgesetzt (und sei es für Dinge wie die Reparatur eines Kirchendaches). In diesem Sinne diente das Millet-System nicht nur

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