Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
dazu, die ethnische und religiöse Hierarchie des Osmanischen Reiches zu bekräftigen – mit den Muslimen an der Spitze und allen anderen Millets (Orthodoxe, gregorianische Armenier, Katholiken und Juden) darunter – , was muslimische Vorurteile gegenüber Christen und Juden förderte. Es ermutigte diese Minderheiten auch, ihre Klagen zu äußern und ihren Kampf gegen die muslimische Herrschaft durch ihre nationalen Kirchen zu organisieren, was eine Hauptquelle der Instabilität im Reich darstellte.
Nirgends war dies offensichtlicher als unter den Orthodoxen, dem größten christlichen Millet mit 10 Millionen der Untertanen des Sultans. Der Patriarch in Konstantinopel repräsentierte die höchste orthodoxe Autorität im Osmanischen Reich. Er sprach für die anderen orthodoxen Patriarchen von Antiochien, Jerusalem und Alexandria. Was ein breites Spektrum säkularer Angelegenheiten betraf, war er der wirkliche Herrscher der »Griechen« (also all jener, die den orthodoxen Ritus befolgten, darunter Slawen, Albaner, Moldauer und Walachen) und vertrat ihre Interessen sowohl gegenüber den Muslimen als auch gegenüber den Katholiken. Das Patriarchat wurde von den Phanarioten kontrolliert, einer mächtigen Kaste griechischer (sowie hellenisierter rumänischer und albanischer) Kaufmannsfamilien, die aus dem Stadtteil Phanar in Konstantinopel stammten. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts stellten die Phanarioten der osmanischen Regierung die Mehrheit der Dragomanen (Übersetzer und Dolmetscher), erwarben viele andere hohe Posten, übernahmen die Aufsicht über die orthodoxe Kirche in der Moldau und in der Walachei, wo sie als Provinzstatthalter (Hospodaren) dienten, und nutzten ihren Einfluss auf das Patriarchat, um ihr Ideal eines griechischen Imperiums zu fördern. Die Phanarioten sahen sich als Erben des Byzantinischen Reiches und träumten davon, es mit russischer Hilfe wiederherzustellen. Andererseits lehnten sie den Einfluss der russischen Kirche ab, die den bulgarischen Klerus zum slawischen Rivalen der Griechen hinsichtlich der Kontrolle über das Patriarchat erhoben hatte, und fürchteten die Ambitionen Russlands im osmanischen Europa.
Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts errangen die anderen Nationalkirchen (die bulgarische und die serbische) allmählich die gleiche Bedeutung wie das von den Griechen dominierte Patriarchat in Konstantinopel. Die griechische Vorherrschaft in orthodoxen Angelegenheiten, darunter Erziehungs- und Gerichtswesen, war unannehmbar für viele Slawen, die sich zunehmend an ihren eigenen Kirchen orientierten, von denen sie nationale Identität und Führerschaft gegen die Türken erhofften. Der Nationalismus war eine mächtige Kraft unter den verschiedenen Gruppen von Balkanchristen – Serben, Montenegriner, Bulgaren, Moldauer, Walachen und Griechen – , die sich auf der Grundlage von Sprache, Kultur und Religion vereinigten, um sich der osmanischen Kontrolle zu entziehen. Die Serben waren die Ersten, die sich zwischen 1804 und 1817 durch von den Russen unterstützte Aufstände befreien konnten: Die Türken erkannten zunächst die serbische Autonomie und schließlich die Gründung eines Fürstentums Serbien mit eigener Verfassung und einem von der Obrenović-Dynastie geführten Parlament an. Das Osmanische Reich aber wirkte so schwach, dass sein Zusammenbruch auf dem übrigen Balkan nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien.
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Lange ehe der Zar das Osmanische Reich am Vorabend des Krimkriegs als »kranken Mann Europas« bezeichnete, war der Gedanke, dass es kurz vor der Auflösung stand, zu einem Gemeinplatz geworden. »Die Türkei kann nicht mehr stehen, sie stürzt von allein«, erklärte der Fürst von Serbien dem britischen Konsul 1838 in Belgrad. »Die Revolte ihrer schlecht regierten Provinzen wird sie zerstören.« 8
Jene Missregierung wurzelte im Scheitern des Reiches, sich der modernen Welt anzupassen. Die führende Rolle des muslimischen Klerus (der Muftis und Ulema) wirkte wie eine mächtige Bremse für Reformen. »Misch dich nicht in festgefügte Dinge ein, borge nichts von den Ungläubigen, denn das Gesetz verbietet es«, lautete das Motto der Muslimischen Institution, die dafür sorgte, dass die Gesetze des Sultans mit denen des Korans übereinstimmten. Westliche Ideen und Technologien drangen nur langsam in die islamischen Teile des Reiches vor: Handel und Gewerbe waren weitgehend in der Hand von Nichtmuslimen (Christen und Juden); bis in die 1720er Jahre gab es
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