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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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skeptisch, dass ein militärischer Sieg zu erzielen sei. Je länger die Kämpfe andauerten – und die Franzosen waren die Hauptbeteiligten – , desto heftiger würde die Öffentlichkeit gegen einen Krieg protestieren, der, wie sie schon jetzt meinte, in erster Linie für britische Interessen ausgefochten wurde. Solche Überlegungen ließen Napoleon zum Plan einer Friedensinitiative umschwenken – er hoffte, auf diese Weise seine Vorstellung für Polen und Italien voranzubringen – , obwohl er ein Verbündeter von Palmerston blieb, der den Frieden nicht wünschte und ihn nicht für praktikabel hielt. Als aber Palmerston in den ersten Wochen des Jahres 1855 eine gewisse Mäßigung an den Tag legen musste, um ein Kabinett mit den friedensliebenden Anhängern von Robert Peel bilden zu können, sah auch er sich genötigt, über die österreichischen Initiativen nachzudenken (oder sich wenigstens den Anschein zu geben, dass er über sie nachdachte).
    Am 7. Januar erklärte Fürst Alexander Gortschakow, der Botschafter des Zaren in Wien, ** dass Russland die Vier Punkte akzeptiere, darunter auch den umstrittenen dritten Punkt, der das Ende der russischen Vorherrschaft im Schwarzen Meer vorsah. In den letzten Wochen seines Lebens wollte Nikolaus unbedingt Friedensgespräche in Gang bringen. Seit dem Eintritt Österreichs in ein Militärbündnis mit den Westmächten wurde er von dem Schreckgespenst eines allgemeinen europäischen Krieges gegen Russland verfolgt und war bereit, nach einem »ehrenhaften« Ausstieg aus dem Konflikt auf der Krim zu suchen. Die Briten hegten jedoch Misstrauen gegenüber den russischen Absichten. Am 9. Januar teilte Königin Viktoria ihrem Außenminister Clarendon mit, dass die Annahme der Vier Punkte durch Russland ihrer Ansicht nach nur ein »geschicktes diplomatisches Manöver« sei, das die Alliierten von der Eroberung der Krim abhalten solle. Die Königin meinte, man solle den Feldzug fortsetzen und Sewastopol einnehmen, damit die russische Anerkennung der Vier Punkte gewährleistet sei. Palmerston stimmte ihr zu. Er war nicht willens, die militärischen Schläge, die er den Russen in der Frühjahrskampagne zufügen wollte, durch eine Friedensinitiative abblocken zu lassen. 6
    Die französischen Minister waren eher geneigt, das russische Angebot für bare Münze zu nehmen und die Möglichkeiten eines Vergleichs auszuloten. Ihre Bereitschaft dazu wurde im Februar erheblich gestärkt, als Napoleon seine feste Absicht verkündete – trotz vieler Warnungen seiner Berater und Verbündeten, die um sein Leben fürchteten – , zur Krim zu reisen und dort persönlich die Militäroperationen zu leiten. Palmerston war sich mit Clarendon darüber einig, dass die »wahnsinnige« Idee des Kaisers unbedingt durchkreuzt werden müsse, selbst wenn dies bedeutete, Friedensverhandlungen in Wien aufzunehmen. Um die Allianz zu erhalten und um seiner Regierung den Anschein zu verleihen, dass sie es mit Friedensgesprächen ernst meine, obwohl drei wichtige Peel-Anhänger (Gladstone, Graham und Herbert) nach nur zwei Wochen im Amt zurückgetreten waren, weil sie Zweifel an Palmerstons Aufrichtigkeit hegten, ernannte er Lord John Russell zum britischen Repräsentanten auf der Wiener Konferenz. ***
    Die Berufung von Russell, seit langem Mitglied der Kriegspartei, schien zunächst eine Taktik von Palmerston zu sein, mit der er die Friedensgespräche abwürgen wollte. Doch Russell ließ sich rasch von der österreichischen Initiative überzeugen und zog sogar die Prinzipien und Motive der britischen Politik hinsichtlich der Orientalischen Frage und des Krimkriegs in Zweifel. In einem brillanten Memorandum, das Russell im März verfasste, führte er verschiedene Methoden an, durch die Großbritannien das Osmanische Reich vor russischen Angriffen schützen könne, beispielsweise indem es den Sultan bevollmächtige, die alliierten Flotten ins Schwarze Meer zu beordern, oder indem es den Bosporus gegen Überraschungsangriffe rüste und mit einer Garnison versehe. All das erfordere keinen Krieg, dessen Hauptziel es sei, die Russen in die Knie zu zwingen. Russell äußerte sich auch sehr kritisch über die doktrinäre Einstellung Großbritanniens zur liberalen Reform der muslimisch-christlichen Beziehungen im Osmanischen Reich. Er verurteilte die Tendenz, eine einzige reformierte Struktur auf der Grundlage britischer Verwaltungsprinzipien durchzusetzen, statt auf konservativere und pragmatischere Art mit örtlichen

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