Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
schützen, doch in Wirklichkeit, um ihre eigenen Ambitionen in der Gegend voranzutreiben. Europäische Botschaften begnügten sich nicht mehr wie früher damit, Kontakte zur osmanischen Verwaltung zu pflegen, sondern sie mischten sich direkt in die Politik des Reiches ein, indem sie Nationalitäten, religiöse Gruppen, politische Parteien und Fraktionen unterstützten. Um ihrer eigenen imperialen Interessen willen nahmen sie sogar Einfluss auf die Ernennung individueller Minister durch den Sultan. Auch entwickelten sie direkte Verbindungen zu Kaufleuten und Finanzmännern und richteten Konsulate in den wichtigsten Handelsstädten ein, um die wirtschaftlichen Belange ihres Landes zu fördern. Daneben verteilten sie Pässe an osmanische Untertanen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts beriefen sich nicht weniger als eine Million Bewohner des Reiches auf den Schutz europäischer Gesandtschaften, um sich der Rechtsprechung und den Steuern der türkischen Behörden zu entziehen. Russland war in dieser Hinsicht am aktivsten und verstärkte seinen Schwarzmeerhandel, indem es zahlreichen Griechen im Reich Pässe ausstellte und ihnen gestattete, unter russischer Flagge zu segeln. 12
Für die orthodoxen Gemeinden des Osmanischen Reiches war Russland der Beschützer vor den Türken. Russische Truppen hatten den Serben zur Autonomie verholfen, die Moldau und die Walachei unter Moskauer Protektion gebracht und die Moldauer von der türkischen Herrschaft in Bessarabien befreit. Doch vor allem ihre Rolle in der griechischen Unabhängigkeitsbewegung ließ erkennen, wie weit sie bei der Unterstützung ihrer Glaubensbrüder zu gehen bereit waren, um ihren Einfluss auf die europäischen Territorien der Türkei geltend zu machen.
Die griechische Revolution begann in Wirklichkeit in Russland. In ihren frühen Stadien wurde sie von russischen Politikern griechischer Herkunft geleitet, die nie den Fuß aufs griechische Festland (ein unverkennbar »geografischer Ausdruck«) gesetzt hatten, die jedoch davon träumten, sämtliche Griechen durch eine Reihe von Aufständen gegen die Türken, beginnend mit den Donaufürstentümern, zu vereinigen. Im Jahr 1814 gründeten griechische Nationalisten und Studenten eine Gesellschaft der Freunde ( Philiki Etaireia ) in Odessa und eröffneten schon bald darauf Ableger davon in allen wichtigen Siedlungsgebieten der Griechen – Moldau, Walachei, Ionische Inseln, Konstantinopel, Peloponnes – sowie in anderen russischen Städten mit einem hohen griechischen Bevölkerungsanteil. Ebendiese Gesellschaft organisierte 1821 den griechischen Aufstand in der Moldau; die Rebellion wurde angeführt von Alexander Ypsilantis, einem hohen Offizier in der russischen Kavallerie und Abkömmling einer prominenten Phanariotenfamilie in der Moldau, die beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges von 1806 nach St. Petersburg geflohen war. Ypsilantis unterhielt enge Beziehungen zum russischen Hof, wo er, seit er fünfzehn Jahre alt war, die Protektion von Kaiserin Maria Fjodorowna (der Witwe Pauls I.) genoss. Zar Alexander hatte ihn 1816 zu seinem Adjutanten ernannt.
In den herrschenden Kreisen von St. Petersburg wirkte eine starke griechische Lobby. Das Außenministerium beschäftigte eine Reihe griechischstämmiger Diplomaten und Verfechter der griechischen Sache. Ihre wichtigsten Vertreter waren Alexandru Sturdza aus der Moldau, ein Phanariot mütterlicherseits, der als erster russischer Gouverneur von Bessarabien diente, und Ioannis Kapodistrias, ein Adliger aus Korfu, den man 1815 gemeinsam mit Karl Nesselrode zum Außenminister Russlands berief. Seit den 1770er Jahren bildete das griechische Gymnasium in St. Petersburg junge gebürtige Griechen für den Militär- und diplomatischen Dienst aus, und viele seiner Absolventen hatten im Krieg von 1806–1812 auf russischer Seite gegen die Türken gekämpft (ebenso wie Tausende von griechischen Freiwilligen aus dem Osmanischen Reich, die bei Kriegsende nach Russland geflohen waren). Zu dem Zeitpunkt, als Ypsilantis seinen Aufstand in der Moldau plante, gab es eine große Gruppe in Russland ausgebildeter, erfahrener griechischer Kämpfer, auf die er sich verlassen konnte.
Ypsilantis beabsichtigte, den Aufstand in der Moldau zu beginnen und dann die Walachei einzubeziehen. Die Aufständischen sollten im Verein mit der Panduren-(Guerilla-)Truppe unter Führung des walachischen Revolutionärs Tudor Vladimirescu angreifen, eines weiteren Veteranen der Zarenarmee des
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