Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
sich hatten. Der uns begleitende Arzt sagte, wir sollten uns zuerst um die Verwundeten kümmern, die noch gerettet werden könnten. Wir fanden eine Menge dieser Unglücklichen – alle baten um etwas zu trinken, und meine Zuaven schenkten ihnen Wein ein … Überall war ein unerträglicher Geruch der Fäulnis; die Zuaven mussten die Nase mit einem Taschentuch bedecken, während sie die Toten, deren Köpfe und Füße an den Seiten hinunterhingen, davontrugen. 68
Unter den Toten befand sich General Mayran, den Pélissier in seinem Bericht an Napoleon für die Niederlage verantwortlich machte, obwohl er selbst durch seine Planänderungen in letzter Minute mindestens genauso viel Schuld daran trug wie der Verstorbene. Raglan jedenfalls hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Pélissier der Hauptschuldige war – nicht nur wegen der Planänderungen, sondern auch wegen seiner Entscheidung, die Attacke auf den Malachow und den Redan zu begrenzen, statt auf breiterer Front anzugreifen, wodurch die russischen Verteidiger möglicherweise stärker zerstreut worden wären. Wie Raglan in seinem Brief an Panmure erklärte, habe Pélissier diese Entscheidung getroffen, weil er befürchtete, dass die französischen Soldaten in der Stadt »Amok laufen« könnten.
Raglans Kritik war indes gewiss gefärbt durch seine eigenen Schuldgefühle angesichts der sinnlosen Opferung so vieler britischer Soldaten. Einem seiner Ärzte zufolge verfiel Raglan nach dem gescheiterten Angriff in eine tiefe Depression, und auf seinem Sterbebett am 26. Juni litt er nicht, wie Gerüchte besagten, an Cholera, sondern an »akuter Seelenqual, die zuerst starke Bedrückung und später die völlige Erschöpfung der Herztätigkeit hervorrief«. 69 Er starb am 28. Juni.
* 1857 heiratete er Parthenope Nightingale, die ältere Schwester von Florence, zu der er sein ganzes Leben lang eine enge Beziehung hatte.
** Nicht zu verwechseln mit Michail Gortschakow, seinem Oberbefehlshaber.
*** Herberts Rücktritt (als Minister für die Kolonien) erfolgte nach wochenlanger scharfer und fremdenfeindlicher Kritik in der britischen Presse, die sich auf seine Familienbeziehungen zu Russland konzentriert hatte. So hieß es im Belfast News-Letter (29. Dezember 1854), seine Mutter, Lady Herbert, sei die Schwester eines Fürsten mit einem »prächtigen Palast in Odessa«, den die Briten während der Bombardierung der Stadt bewusst verschont hätten (in Wirklichkeit trug der Woronzow-Palast bei diesem Ereignis schwere Schäden davon). In der Exeter Flying Post (31. Januar 1855) wurde Herbert vorgeworfen, dass er »die Regierung behindert und die Pläne des Zaren bevorzugt«.
**** Es gab zahlreiche Polen, die von der russischen Armee zu den Streitkräften des Sultans überliefen; einige waren recht hohe Offiziere, die sich türkische Namen zulegten, teils um sich vor den Russen zu tarnen: Iskander Bey (später Iskander Pascha), Sadyk Pascha (Micha Czaykowski) und »Hidaiot« (Hedayat) bei Omer Paschas Heer im Donaugebiet, Oberst Kuczynski, Stabschef der ägyptischen Armee in Jewpatorija, sowie Major Kleczynski und Major Jerzmanowski bei der türkischen Armee auf der Krim.
***** Taganrog besaß nicht genug Streitkräfte, um sich verteidigen zu können: nur ein Infanteriebataillon und ein Kosakenregiment, dazu eine Einheit aus 200 bewaffneten Zivilisten, insgesamt rund 2000 Mann, doch keine Artillerie. In dem verzweifelten Bemühen, den Ort vor einem Bombardement zu retten, entsandte der Gouverneur eine Delegation, die den Befehlshabern der alliierten Flotte anbot, das Schicksal von Taganrog durch eine offene Feldschlacht zu entscheiden. Man schlug sogar vor, ungleiche Armeen gegeneinander antreten zu lassen, um dem alliierten Flottenvorteil gerecht zu werden. Es war ein erstaunlicher Akt der Ritterlichkeit, der direkt aus der mittelalterlichen Geschichtsschreibung hätte stammen können. Die alliierten Befehlshaber ließen sich jedoch nicht überzeugen und kehrten auf ihre Schiffe zurück, um die Bombardierung von Taganrog zu beginnen. Der gesamte Hafen, die Kuppel der Kathedrale und viele andere Gebäude wurden zerstört. Unter den zahlreichen Einwohnern, die aus der belagerten Stadt flohen, war Jewgenia Tschechowa, die Mutter des künftigen Dramatikers Anton Tschechow, der fünf Jahre später in Taganrog geboren wurde (L. Guerrin, Histoire de la dernière guerre du Russie (1853–1856) , 2 Bde. [Paris 1858], Bd. 2, S. 239 f.; N. Dubrowin, Istorija krymskoi woiny i oborony
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