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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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zahlenmäßigen Überlegenheit durchbrechen können. Doch Read beschloss, sie nach und nach, Regiment für Regiment, in die Schlacht ziehen zu lassen. Danach wurde ein Regiment nach dem anderen von den Franzosen niedergemäht, die inzwischen völlig sicher waren, die russischen Kolonnen besiegen zu können, und den Feind dicht herankommen ließen, bevor sie feuerten. »Unsere Artillerie schoss die Russen kurz und klein«, berichtete Octave Cullet, ein französischer Infanteriehauptmann, der auf den Fedjuchin-Höhen kämpfte.
    Unsere Soldaten, selbstbewusst und stark, feuerten aus zwei Reihen mit einer ruhigen und tödlichen Salve, wie sie nur kampferprobten Männern gelingt. Jeder hatte am Morgen 80 Patronen erhalten, doch wenige waren verbraucht worden; niemand achtete auf das Feuer von unseren Flanken her, sondern jeder konzentrierte sich nur auf die heranrückenden russischen Soldaten … Erst als sie direkt vor uns waren und drohten, uns zu umschließen, eröffneten wir das Feuer – keine Kugel wurde gegenüber diesem riesigen Halbkreis von Angreifern verschwendet. Unsere Männer zeigten bewundernswerte Fassung (sang-froid), und keiner dachte daran zurückzuweichen. 18
    Schließlich setzte Gortschakow Reads Stümperei ein Ende und befahl der ganzen Division, am Angriff teilzunehmen. Zunächst drängten sie die Franzosen wieder den Hügel hinauf, aber die tödlichen Gewehrsalven des Feindes zwangen die Russen am Ende, sich zurückzuziehen und ans andere Flussufer überzuwechseln. Read wurde beim Rückzug durch einen Granatsplitter getötet, woraufhin Gortschakow das Kommando übernahm und acht Bataillonen von Liprandis Streitkräften auf der linken Seite befahl, ihn am östlichen Ende der Fedjuchin-Höhen zu unterstützen. Diese Männer gerieten jedoch unter schweres Gewehrfeuer der Sardinier, die über den Gasfort-Hügel angerückt waren, um die offene Flanke zu schützen, und mussten zum Telegrafenhügel zurückweichen. Die Situation war hoffnungslos. Kurz nach zehn Uhr ordnete Gortschakow den allgemeinen Rückzug an, und nach einer letzten Salve all ihrer Kanonen – gewissermaßen ein Zeichen der Herausforderung trotz der Niederlage – räumten die Russen das Feld, um sich die Wunden zu lecken. 19
    Die Alliierten verloren 1800 Mann an der Tschornaja. Die Russen zählten 2273 Tote, fast 4000 Verwundete und 1742 Vermisste, zumeist Deserteure, die den Morgennebel und die Verwirrung der Schlacht genutzt hatten, um davonzulaufen. * Erst mehrere Tage später wurden die Toten und Verwundeten geborgen (die Russen machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Männer einzusammeln). In diesem Zeitraum erschienen viele Besucher, um sich die grässliche Szene anzuschauen – nicht nur Krankenschwestern, die den Verwundeten halfen, sondern auch Kriegstouristen, die Trophäen von den Leichen mitnahmen. Mindestens zwei britische Armeegeistliche beteiligten sich an den Plündereien, um sich Souvenirs zu verschaffen. Mary Seacole beschreibt den »dicht mit Verwundeten übersäten [Boden]. Einige wirkten ruhig und resigniert, andere ungeduldig und rastlos, manche erfüllten die Luft mit ihren Schmerzensschreien – alle wollten Wasser und waren denen dankbar, die es ihnen verabreichten.« Thomas Buzzard, ein britischer Arzt bei der türkischen Armee, war erstaunt darüber, dass die meisten der Toten »auf dem Gesicht lagen und buchstäblich, um Homers Ausdrucksweise zu benutzen, ›ins Gras bissen‹«. Dies wich von klassischen Schlachtgemälden ab, auf denen die Toten gewöhnlich auf dem Rücken liegend dargestellt sind (die meisten Russen waren frontal erschossen worden, während sie die Hügel hinaufstiegen, und auf natürliche Weise nach vorn gestürzt). 20
    Irgendwie war es den Russen gelungen, sich von einem nicht einmal halb so starken Feind besiegen zu lassen. In seiner Erklärung dem Zaren gegenüber schob Gortschakow dem unglücklichen General Read die gesamte Schuld zu, denn dieser habe den Befehl missverstanden, als er seine Männer gegen die Franzosen auf den Fedjuchin-Höhen vorrücken ließ. »Es ist schmerzlich, sich vorzustellen, dass wir, hätte Read meine Befehle Wort für Wort ausgeführt, einen gewissen Erfolg zu verzeichnen hätten und dass mindestens ein Drittel jener tapferen Soldaten, die getötet wurden, heute noch am Leben sein könnte«, schrieb er dem Zaren am 17. August. Alexander hatte wenig Sympathie für Gortschakows Versuch, die Verantwortung auf den toten General abzuwälzen. Er hatte sich

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