Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
einen Erfolg gewünscht, um unter günstigen Bedingungen mit Friedensangeboten an die Alliierten herantreten zu können, und dieser Rückschlag hatte all seine Pläne ruiniert. »Unsere tapferen Soldaten«, antwortete er Gortschakow, »haben enorme Verluste ohne jeglichen Gewinn erlitten [Hervorhebung durch den Zaren].« In Wirklichkeit trugen beide Männer die Schuld an dem sinnlosen Gemetzel: Alexander, weil er auf einer nicht durchführbaren Offensive bestanden hatte, und Gortschakow, weil er sich dem Drängen des Zaren auf einen Angriff nicht widersetzt hatte. 21
Die Niederlage an der Tschornaja war eine Katastrophe für die Russen. Nun schien es lediglich eine Frage der Zeit zu sein, wann Sewastopol an die Alliierten fallen würde. »Ich bin sicher, dass dies der vorletzte blutige Akt unserer Operationen auf der Krim gewesen ist«, schrieb Herbé seinen Eltern am 25. August, nachdem er an der Tschornaja verwundet worden war. »Der letzte wird die Eroberung von Sewastopol sein.« Laut Nikolai Miloschewitsch, einem der Verteidiger des Marinestützpunkts, »verloren die russischen Soldaten« nach der Niederlage »jegliches Vertrauen zu ihren Offizieren und Generalen«. Einer seiner Kameraden schrieb: »Der Morgen des 16. August war unsere letzte Hoffnung. Am Abend hatte sie sich aufgelöst. Wir begannen, von Sewastopol Abschied zu nehmen.« 22
Angesichts der hoffnungslosen Lage schickten sich die Russen nun an, Sewastopol zu evakuieren. Genau davor hatte Gortschakow am Tag vor der Schlacht in seinem Brief an den Kriegsminister gewarnt, wenn es zu einer Niederlage an der Tschornaja käme. Der Evakuierungsplan konzentrierte sich auf den Bau einer Schwimmbrücke über den Seehafen hinweg zur Nordseite, wo die Russen eine beherrschende Position gegenüber den alliierten Streitkräften haben würden, wenn diese die Südseite der Stadt besetzten. Die Idee, eine Brücke zu benutzen, war in der ersten Juliwoche von General Buchmeier, einem brillanten Ingenieur, geäußert worden. Dutzende anderer Techniker hatten den Vorschlag abgelehnt, weil es unmöglich sei, eine solche Brücke zu bauen, erst recht an der von Buchmeier vorgesehenen Stelle, nämlich zwischen Fort Nikolaus und der Michailow-Batterie, wo der Seehafen 960 Meter breit war (was das Bauwerk zu einer der längsten Pontonbrücken aller Zeiten machen sollte) und wo oftmals heftige Winde das Wasser aufwühlten. Aber die Dringlichkeit der Situation ließ Gortschakow keine andere Wahl, als den gefährlichen Plan zu unterstützen. Daraufhin organisierte Buchmeier den Bau mit mehreren Hundert Soldaten, die Holz beispielsweise aus dem 300 Kilometer entfernten Cherson herbeiholten, und mit riesigen Mannschaften von Matrosen, welche die Balken an den Pontons befestigten. Am 27. August war die Brücke vollendet. 23
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Unterdessen bereiteten die Alliierten einen weiteren Angriff auf den Malachow und den Redan vor. Ende August hatten sie begriffen, dass die Russen nicht viel länger durchhalten konnten. Nach der Niederlage an der Tschornaja war das Rinnsal der Deserteure aus Sewastopol zu einem Strom geworden, und alle hatten das Gleiche über die schrecklichen Zustände in der Stadt zu erzählen. Nachdem die alliierten Befehlshaber erkannt hatten, dass eine neue Attacke wahrscheinlich Erfolg haben würde, waren sie umso entschlossener, so bald wie möglich zur Tat zu schreiten. Der September nahte, das Wetter würde bald umschlagen, und vor nichts hatten sie mehr Angst als vor einem zweiten Winter auf der Krim.
Pélissier ergriff die Initiative. Seine Position war durch die Vernichtung der Russen an der Tschornaja erheblich gestärkt worden. Napoleon hatte seine Zweifel an Pélissiers Taktik der fortgesetzten Belagerung gehabt – er selbst war für eine Direktaktion gewesen – , doch nach dem neuen Sieg schob er seine Vorbehalte beiseite und überließ es seinem Befehlshaber, auf den ersehnten Triumph hinzuarbeiten.
Den Briten blieb nichts anderes übrig, als dem französischen Kommandeur zu folgen. Ihnen fehlten die Soldaten und die nachweisbaren Erfolge, um ihre Militärtaktik durchsetzen zu können. Nach der Katastrophe vom 18. Juni wollte Panmure eine Wiederholung des gescheiterten britischen Angriffs auf den Redan unbedingt vermeiden, und eine Zeitlang schien es, als wäre eine neue Offensive unter Einbeziehung der Briten ausgeschlossen worden. Aber nach dem Sieg an der Tschornaja sah die Lage ganz anders aus, und der Lauf der Ereignisse sorgte für eine
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