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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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eingezogen worden waren: Hundert Mann waren der 15. Reserve-Infanteriedivision davongelaufen, ebenso wie drei von vier Soldaten der Verstärkungen aus dem Warschauer Militärbezirk. Aus Sewastopol selbst verschwanden täglich rund zwanzig Mann, hauptsächlich bei Ausfällen oder Bombardements, wenn ihre Offiziere nicht ganz so aufmerksam auf sie achteten. Laut den Franzosen, die in den Sommermonaten einen stetigen Strom von Deserteuren empfingen, nannten die Männer als Grund für ihr Handeln vorwiegend die Tatsache, dass sie praktisch keine Nahrung – oder nur verfaultes Fleisch – erhalten hätten. Verschiedene Gerüchte über einen Aufstand der Reservisten in der Garnison von Sewastopol wurden in der ersten Augustwoche laut, doch die Russen schlugen die Rebellion brutal nieder und unterdrückten jegliche Information darüber. »Ein Bericht besagt, dass hundert russische Soldaten nach der Verurteilung durch ein Kriegsgericht in der Stadt wegen Meuterei erschossen worden seien«, schrieb Henry Clifford seinem Vater kurz darauf. Mehrere Regimenter wurden aufgelöst und der Reserve zugewiesen, weil sie nicht mehr zuverlässig waren. 13
    * * *
    Auch der Zar sah ein, dass Sewastopol der Belagerung nicht viel länger standhalten konnte, und er befahl Gortschakow, ein letztes Mal zu versuchen, den alliierten Ring zu durchbrechen. Gortschakow hatte Zweifel. Eine Offensive »gegen einen zahlenmäßig überlegenen und so stark verschanzten Feind wäre töricht«, widersprach der Oberbefehlshaber. Doch der Zar beharrte darauf, dass irgendetwas getan werden müsse. Er suchte nach einem Weg, den Krieg unter Bedingungen zu beenden, die für die nationale Ehre und Integrität Russlands akzeptabel waren, und er brauchte einen militärischen Erfolg, um Friedensverhandlungen mit den Briten und Franzosen aus einer stärkeren Position beginnen zu können. Alexander entsandte drei seiner Reservedivisionen zur Krim und wies Gortschakow immer wieder an, anzugreifen (ohne allerdings ein Ziel zu nennen), bevor die Alliierten mehr Soldaten herbeiholten, was sie seiner Meinung nach beabsichtigten. »Ich bin überzeugt, dass wir die Offensive ergreifen müssen«, schrieb er Gortschakow am 30. Juli, »denn sonst werden sämtliche Verstärkungen, die ich Ihnen geschickt habe, wie schon früher in Sewastopol, jenem Fass ohne Boden, versickern.« 14
    Die einzige Vorgehensweise, die nach Gortschakows Ansicht eine gewisse Erfolgschance bot, war ein Angriff auf die französischen und sardinischen Stellungen an der Tschornaja. Indem »wir die Wasserstellen des Feindes besetzen, können wir vielleicht seine Flanke bedrohen und seine Attacken auf Sewastopol einschränken, was uns den Weg zu weiteren vorteilhaften Aktionen bahnen könnte«, teilte er dem Zaren mit. »Aber wir sollten uns keine Illusionen machen, denn eine solche Initiative birgt wenig Hoffnung auf Erfolg.« Alexander wollte Gortschakows Vorbehalte nicht hören. Am 3. August schrieb er ihm erneut: »Ihre täglichen Verluste in Sewastopol bekräftigen das, was ich Ihnen viele Male in meinen Briefen dargelegt habe: die Notwendigkeit, etwas Entscheidendes zu tun, um dieses schreckliche Gemetzel zu beenden [Hervorhebung durch den Zaren].« Alexander wusste, dass Gortschakow im Grunde ein Höfling war, ein Schüler des vorsichtigen Paskewitsch, und argwöhnte, dass es dem General widerstrebe, die Verantwortung für eine Offensive zu übernehmen. Er schloss mit den Worten: »Ich wünsche eine Schlacht, aber wenn Sie als Oberbefehlshaber die Verantwortung scheuen, dann sollten Sie einen Militärrat einberufen, der sie Ihnen abnehmen wird.« 15
    Ein Kriegsrat trat am 9. August zusammen, um über einen möglichen Angriff zu diskutieren. Viele der höchsten Offiziere lehnten eine Offensive ab. Osten-Sacken, der von Nachimows Tod sehr betroffen war und den Verlust von Sewastopol nun für unvermeidlich hielt, machte geltend, dass genug Männer geopfert worden seien und der Marinestützpunkt nun geräumt werden müsse. Die meisten der anderen Generale teilten Osten-Sackens pessimistischen Standpunkt, doch keiner war mutig genug, ihn offen zu unterstützen. Stattdessen akzeptierten sie den Gedanken einer Offensive, um den Zaren zufriedenzustellen, obwohl kaum einer Vertrauen in einen detaillierten Plan setzte. Der aberwitzigste kühnste Vorschlag kam von dem übereifrigen General Chruljow, der den fehlgeschlagenen Angriff auf Jewpatorija geleitet hatte. Nun befürwortete er die völlige Zerstörung

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