Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Sewastopols (was sogar das Beispiel Moskaus von 1812 übertroffen hätte), gefolgt von einem Massenangriff aller verfügbaren Soldaten auf die feindlichen Stellungen. Als Osten-Sacken einwandte, der selbstmörderische Plan werde mit Zehntausenden unnötiger Todesopfer enden, gab Chruljow zurück: »Na und? Sollen doch alle sterben! Wir werden unseren Stempel auf der Karte hinterlassen!« Kühlere Köpfe setzten sich durch, und die Besprechung endete mit einem Votum für Gortschakows Vorschlag, die französischen und sardinischen Stellungen an der Tschornaja zu attackieren, obgleich Gortschakow selbst äußerst skeptisch blieb. »Ich marschiere gegen den Feind, weil Sewastopol, wenn ich es nicht tue, bald verloren sein wird«, schrieb er dem Kriegsminister, Fürst Dolgoruki, am Vorabend der Offensive. Sollte der Angriff aber scheitern, »wäre es nicht [seine] Schuld«, und er werde »versuchen, Sewastopol unter möglichst geringen Verlusten zu räumen«. 16
Man plante die Offensive für den frühen Morgen des 16. August. Am Abend zuvor hatten die Franzosen die fête de l’empereur gefeiert, die (was kein Zufall war) an Mariä Himmelfahrt stattfand, einem wichtigen Feiertag für die Italiener, die, wie die Franzosen, bis spätnachts getrunken hatten. Um vier Uhr, kurz nachdem sie sich hingelegt hatten, wurden sie vom Donnern russischer Kanonen geweckt.
Im Schutz eines frühmorgendlichen Nebels rückten die Russen mit den vereinigten Kräften von 47 000 Infanteristen, 10 000 Kavalleristen und 270 Feldgeschützen zur Traktir-Brücke vor. Sie befanden sich unter dem Kommando von General Liprandi auf der linken Seite (den Sardiniern gegenüber) und General Read, dem Sohn eines schottischen Ingenieurs, der nach Russland emigriert war, auf der russischen rechten Seite (den Franzosen gegenüber). Die beiden Generale waren angewiesen worden, den Fluss erst zu überqueren, wenn Oberbefehlshaber Gortschakow das Signal dazu gab. Gortschakow war unschlüssig, ob er seine Reserven gegen die Franzosen auf den Fedjuchin-Höhen oder die Sardinier auf dem Gasfort-Hügel einsetzen sollte. Er baute darauf, dass die ersten Artilleriesalven ihm helfen würden, die feindlichen Stellungen zu entblößen und eine klare Entscheidung zu treffen.
Die ersten russischen Kanonenschüsse verfehlten jedoch ihr Ziel. Sie sorgten lediglich dafür, dass die 18 000 französischen und 9000 sardinischen Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt wurden, während sich diejenigen in vorgeschobenen Stellungen der Traktir-Brücke näherten. Frustriert über die mangelnden Fortschritte, beauftragte Gortschakow seinen Adjutanten, Leutnant Krassowski, zu Read und Liprandi zu eilen und sie zu informieren, es sei »Zeit anzufangen«. Als die Botschaft Read erreichte, war ihr Sinn keineswegs klar. »Zeit, was anzufangen?«, fragte Read, aber Krassowski hatte keine Antwort. Read entschied, die Nachricht könne sich nicht auf das Artilleriefeuer beziehen, das bereits begonnen hatte, sondern nur auf den Beginn der Infanterieattacke. Also befahl er seinen Männern, den Fluss zu überqueren und die Fedjuchin-Höhen zu stürmen, obwohl die Kavallerie- und Infanteriereserven, die einen Angriff unterstützen sollten, noch nicht eingetroffen waren. Mittlerweile hatte Gortschakow beschlossen, seine Reserven auf die linke Seite zu konzentrieren, wozu er durch die Leichtigkeit ermutigt worden war, mit der Liprandis Plänkler die sardinischen Außenposten vom Telegrafenhügel (bei den Italienern als Roccia dei Piemontesi bekannt) vertrieben hatten. Als er das Musketenfeuer von Reads Männern vor den Fedjuchin-Höhen hörte, lenkte Gortschakow einige seiner Reserven zu deren Unterstützung um, doch wie er später zugab, wusste er bereits, dass die Schlacht verloren war: Seine Truppen waren geteilt und griffen an zwei Fronten an, obgleich der Sinn der Offensive darin bestanden hatte, einen einzigen mächtigen Schlag zu landen. 17
Reads Männer überquerten den Fluss in der Nähe der Traktir-Brücke. Ohne Beistand durch Kavallerie und Artillerie marschierten sie dem fast sicheren Tod entgegen, da sie dem Feuer der französischen Kanoniere und Gewehrschützen von den Hängen der Fedjuchin-Höhen ausgesetzt waren. Innerhalb von zwanzig Minuten wurden 2000 russische Infanteristen niedergeschossen. Reserven trafen in Gestalt der 5. Infanteriedivision ein. Ihr Befehlshaber schlug vor, die gesamte Division angreifen zu lassen, und vielleicht hätte sie allein aufgrund ihrer
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