Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
sollen, dass eine Kugel meine Wasserflasche traf, deren Riemen ich über die Schulter geschlungen hatte, das Wasser auslaufen ließ und abprallte. Ein Stein, der von einem Kartätschenschuss aufgewirbelt wurde, traf mich am Bein, ohne mir große Schmerzen zu bereiten. Kurz darauf trafen wir auf … einige Männer und versammelten nach und nach die meisten der Unverletzten. Es war sehr traurig, dass so viele fehlten.
Henry Clifford gehörte zu den Offizieren, die sich vergebens bemühten, die Disziplin wiederherzustellen: »Als die Männer von der Brüstung des Redan zurückrannten … , zogen wir unsere Schwerter, schlugen damit die Männer und flehten sie an, stehen zu bleiben, weil sonst alles verloren wäre. Trotzdem flohen viele. Der Schützengraben, zu dem sie liefen, war so überfüllt, dass wir uns nicht bewegen konnten, ohne auf die Verwundeten unter unseren Füßen zu treten.« 30
Es war aussichtslos, den Angriff mit diesen von Panik erfassten Soldaten – die meisten waren junge Reservisten – zu erneuern. General Codrington, der Befehlshaber der Leichten Division, der die Offensive leitete, stellte weitere Aktionen für den Rest des Tages ein – eines Tages, an dem die Briten 2610 Opfer, darunter 550 Tote, zu beklagen hatten. Codrington plante, den Angriff am folgenden Tag mit den schlachterprobten Soldaten der Hochlandbrigade fortzusetzen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Später am Abend entschieden die Russen, dass sie den Redan nicht gegen die französischen Geschütze auf dem Malachow verteidigen konnten, und räumten die Festung. Ein russischer General erklärte in dem wohl frühesten Bericht über diese Ereignisse, dass der Malachow »nur eine einzelne Festung [war], doch den Schlüssel zu Sewastopol lieferte, denn die Franzosen würden in der Lage sein, die Stadt von dort aus nach Belieben zu bombardieren, Tausende unserer Soldaten und Zivilisten zu töten und wahrscheinlich die Pontonbrücke zu zerstören und unsere Flucht zur Nordseite zu vereiteln«. 31
Gortschakow befahl, die gesamte Südseite von Sewastopol zu evakuieren. Militäreinrichtungen wurden gesprengt, Vorratslager in Brand gesteckt, und Scharen von Soldaten und Zivilisten schickten sich an, die Schwimmbrücke zur Nordseite zu überqueren. Eine beträchtliche Zahl von russischen Soldaten hielt die Entscheidung, die Stadt zu räumen, für Verrat. Sie meinten, am Vortag einen Teilsieg errungen zu haben, da sie die feindlichen Angriffe auf alle Bastionen mit Ausnahme des Malachow zurückgeschlagen hatten, und sie wollten nicht verstehen oder zugeben, dass dessen Verlust die fortgesetzte Verteidigung der Stadt unmöglich machte. Viele Matrosen wollten Sewastopol, wo sie ihr Leben verbracht hatten, nicht verlassen, und einige protestierten sogar. »Wir können nicht weggehen, denn niemand hat die Befehlsgewalt über uns«, verkündete eine Gruppe von Seeleuten; damit spielten sie auf das Fehlen eines Flottenbefehlshabers nach dem Tod von Nachimow an.
Die Soldaten können abziehen, aber wir haben unsere Marinebefehlshaber, und sie haben uns nicht zur Räumung aufgefordert. Wie könnten wir Sewastopol verlassen? Der Angriff ist doch überall abgeschlagen worden, nur der Malachow ist den Franzosen in die Hände gefallen, und morgen können wir ihn zurückerobern. Wir werden auf unseren Posten bleiben … Wir müssen hier sterben. Wir dürfen nicht abziehen, was würde Russland über uns sagen? 32
Die Evakuierung begann um 19 Uhr und setzte sich die ganze Nacht hindurch fort. Am Seehafenkai bei Fort Nikolaus versammelte sich eine große Zahl von Soldaten und Zivilisten, um die Schwimmbrücke zu überqueren. Verwundete und Kranke, Frauen mit kleinen Kindern und alte Menschen mit Gehstöcken standen inmitten von Soldaten und Matrosen, Pferden und Geschützen auf Lafetten. Der Abendhimmel war von den Flammen brennender Gebäude erleuchtet, und das Dröhnen der Geschütze in den fernen Bastionen war kaum von den Explosionsgeräuschen in Sewastopol, in den Forts und auf den Schiffen zu unterscheiden, denn die Russen sprengten alles für den Feind Nützliche, das sie nicht mitnehmen konnten, in die Luft. Die Menschen in der Menge rechneten damit, dass die Briten und Franzosen jeden Moment eintreffen könnten, gerieten in Panik, schoben und drängelten einander, um näher an die Brücke heranzukommen. »Man konnte die Angst förmlich riechen«, erinnerte sich Tatjana Tolytschewa, die mit ihrem Mann und ihrem Sohn an der Brücke wartete. »Es
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