Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
religiösen Gründen ein. Wie in einer Vorwegnahme der Argumente, die 1853 für den russischen Einmarsch in die Fürstentümer geäußert wurden, brachten sie vor, dass die Verteidigung von Christen gegen muslimische Gewalt jeglichen Gedanken an die Souveränität des Osmanischen Reiches verdrängen müsse. Aufstände beispielsweise in Spanien oder Österreich zu unterstützen wäre ein Verrat der Prinzipien der Heiligen Allianz, denn diese beiden Nationen würden von rechtmäßigen christlichen Herrschern regiert. Doch keine muslimische Macht könne als rechtmäßig oder legitim anerkannt werden, weshalb die gleichen Prinzipien nicht auf die griechische Erhebung gegen die Osmanen anzuwenden seien. Die Rhetorik der Verpflichtung des heiligen Russland gegenüber seinen Glaubensbrüdern wurde auch von Pozzo di Borgo, dem Botschafter des Zaren in Frankreich, verwendet, obwohl er stärker daran interessiert war, die strategischen Ambitionen Russlands voranzutreiben. Deshalb rief er zu einem Krieg auf, durch den man die Türken aus Europa vertreiben solle, um ein neues Byzantinisches Reich unter russischer Protektion zu gründen.
Diese Ideen wurden von etlichen hohen Beamten, Heeresoffizieren und Intellektuellen geteilt, die sich in den frühen 1820er Jahren durch ihren russischen Nationalismus und zuweilen durch einen nahezu messianischen Einsatz für die orthodoxe Sache immer enger zusammenschlossen. Man redete davon, »die Donau zu überschreiten und die Griechen vor den Grausamkeiten der muslimischen Herrschaft zu retten«. Ein führender Vertreter der südlichen Armee rief zum Krieg gegen die Türken auf, um die Balkanchristen in einem »griechischen Königreich« zu vereinigen. Die Kriegslobby fand auch Anhänger am Hof, wo man die legitimistischen Prinzipien der Heiligen Allianz ernster nahm. Am enthusiastischsten war Baronin von Krüdener, eine religiöse Mystikerin, die Zar Alexander in seinem messianischen Glauben bestärkte und für einen orthodoxen Kreuzzug warb, durch den die Muslime aus Europa vertrieben werden sollten, wonach das Kreuz in Konstantinopel und Jerusalem zu errichten sei. Doch der Zar verbannte sie vom Hof und befahl ihr, St. Petersburg zu verlassen. 13
Alexander war dem Konzert der Nationen viel zu sehr verpflichtet, als dass er den Gedanken einer unilateralen russischen Intervention zur Befreiung der Griechen ernsthaft erwogen hatte. Er stand fest zu dem in Wien etablierten Kongresssystem, durch das sich die Großmächte verpflichtet hatten, bedeutende Krisen durch internationale Verhandlungen beizulegen. Auch war ihm klar, dass jegliche Aktion in der griechischen Krise auf Widerstand stoßen würde. Im Oktober 1821 hatte Fürst Metternich, der österreichische Außenminister und Chefdirigent des Konzerts der Großmächte, bereits mit dem britischen Außenminister Lord Castlereagh eine europäische Vermittlungspolitik im Hinblick auf Griechenland koordiniert. Als der Zar sie im Februar 1822 um Hilfe gegen die Türkei bat, einigten sie sich deshalb darauf, einen internationalen Kongress zur Lösung der Krise einzuberufen.
Alexander forderte die Schaffung eines großen autonomen griechischen Staates unter russischer Schutzherrschaft, ähnlich wie die Moldau und die Walachei. Großbritannien befürchtete jedoch, dass Russland dadurch die Möglichkeit erhalten würde, seine eigenen Interessen durchzusetzen und sich unter dem Vorwand, seine Glaubensgenossen zu verteidigen, in osmanische Angelegenheiten einzumischen. Österreich war gleichermaßen besorgt, dass ein erfolgreicher griechischer Aufstand entsprechende Bewegungen in den mitteleuropäischen Gebieten unter seiner Kontrolle auslösen würde. Da Alexander das Bündnis mit Österreich besonders hoch schätzte, verzögerte er die Hilfsmaßnahmen für die Griechen, während er weiterhin eine gemeinsame europäische Hilfsaktion befürwortete. Keine der Großmächte wollte den Griechen beistehen, doch 1825 geschahen zwei Dinge, die zu einem Meinungswechsel führten: Erstens wandte sich der Sultan an Mehmet Ali, seinen mächtigen Vasallen in Ägypten, um die Griechen niederwerfen zu lassen. Dies gelang den Ägyptern durch neue Gräueltaten, die eine stetig wachsende Welle der Sympathie mit den Griechen und immer lautere Rufe nach Intervention im liberalen Europa zur Folge hatten; und zweitens starb Alexander.
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Der neue Zar – der Mann, der mehr Verantwortung als jeder andere für den Krimkrieg trug – war 29 Jahre alt, als er seinem
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