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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Bruch des Pariser Vertrags ein Kriegsgrund sein werde. Palmerston hielt dies für eine »gute zusätzliche Sicherheit und ein Gelöbnis der Einigkeit « gegenüber Russland, das seiner Überzeugung nach in absehbarer Zeit wieder zu einer großen Bedrohung für den Kontinent werden würde. Er wollte die Entente zu einem antirussischen Bund europäischer Staaten ausweiten. 27 Napoleon hatte seine Zweifel. Seit dem Fall von Sewastopol war es zu einer Annäherung zwischen den Franzosen und den Russen gekommen. Napoleon war für seine Pläne gegen die Österreicher in Italien auf Russland angewiesen. Umgekehrt war Frankreich für die Russen, insbesondere für ihren neuen Außenminister Alexander Gortschakow, der Nesselrode im Jahr 1856 abgelöst hatte, die Macht, die sie am ehesten bei ihren Bemühungen unterstützen würde, die demütigenden Schwarzmeer-Klauseln des Pariser Vertrags zu beseitigen. Russland wie Frankreich waren revisionistische Staaten: Während Russland Änderungen des Vertrags von 1856 anstrebte, wollte Frankreich die Überreste der Regelung von 1815 beseitigen. Deshalb bot sich ein Handel zwischen ihnen an.
    Im Unterschied zu Nesselrode, einem energischen Befürworter der Heiligen Allianz und ihrer legitimistischen Prinzipien, vertrat Gortschakow einen pragmatischen Standpunkt zur Rolle Russlands auf dem Kontinent. Seiner Meinung nach sollte Russland sich nicht auf Bündnisse einlassen, durch die es auf allgemeine Prinzipien festgelegt wurde, etwa auf die Verteidigung legitimer Monarchien, wie es vor dem Krimkrieg der Fall gewesen sei. Der Krieg habe gezeigt, dass Russland sich nicht im Geringsten auf Solidarität vonseiten der legitimen europäischen Monarchien verlassen könne. Durch Nesselrodes Politik sei es verletzlich für die Versäumnisse anderer Regierungen geworden, vor allem Österreichs, das der Außenminister seit seinem Aufenthalt als Botschafter in Wien verachtete. Vielmehr glaubte Gortschakow, Russland solle sich in der Diplomatie auf seine eigenen nationalen Interessen konzentrieren und sich zur Förderung dieser Interessen mit anderen Staaten ungeachtet ihrer Ideologie zusammentun. Dies war ein neuer Typus der Diplomatie: die später von Bismarck praktizierte Realpolitik.
    Die Russen stellten den Pariser Vertrag von Anfang an auf die Probe, indem sie eher nebensächliche Problemfälle in den Vordergrund rückten, um so die Differenzen innerhalb des Krim-Bündnisses zu verstärken. Im Mai 1856 erhoben sie Besitzansprüche auf einen Leuchtturm auf der winzigen Schlangeninsel in türkischen Gewässern unweit der Mündung des Donaudeltas und setzten dort sieben Mann mit einem Offizier ab, die sich in dem Leuchtturm niederließen. Walewski war geneigt, den Russen die unbedeutende Insel zu überlassen, doch Palmerston bestand darauf, sie zu vertreiben, da sie die türkische Souveränität verletzten. Als der Kapitän eines britischen Schiffes Kontakt mit den Türken auf der Schlangeninsel aufnahm, erklärten sie ihm, dass sie nichts gegen die Anwesenheit der Russen hätten, sondern sie als Gäste betrachteten und sich freuten, ihnen Vorräte verkaufen zu können. Nun sprach Palmerston ein Machtwort und teilte Clarendon am 7. August mit: »Wir müssen den verhängnisvollen Fehler vermeiden, den Aberdeen machte, als er zuließ, dass die frühen Äußerungen und Anzeichen russischer Aggression unbemerkt und ungebändigt blieben .« Befehle wurden ausgestellt, um die Russen von Kanonenbooten entfernen zu lassen, doch John Wodehouse, der britische Gesandte in St. Petersburg, bezweifelte, dass Großbritannien das Recht zu solchen Aktionen hatte, und die Königin teilte seine Vorbehalte. Daraufhin machte Palmerston einen Rückzieher und versuchte es stattdessen mit diplomatischem Druck. Gortschakow behauptete, die Insel gehöre den Russen seit 1833, und wandte sich an die Franzosen, die damit in eine Position der internationalen Vermittlung zwischen Großbritannien und Russland manövriert wurden. 28
    Unterdessen stellten die Russen den Pariser Vertrag abermals in Frage, diesmal im Zusammenhang mit der Grenze zwischen dem russischen Bessarabien und der von den Türken kontrollierten Moldau. Durch ein kartografisches Versehen und die Verwechslung von Namen hatten die Alliierten die Grenze im Süden eines alten Dorfes namens Bolgrad gezogen, drei Kilometer nördlich von Neu-Bolgrad, einem Marktflecken am Ufer des Jalpuk-Sees, der in die Donau mündet. Die Russen verwiesen auf diese Unklarheit und

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