Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
beanspruchten beide Bolgrads und folglich das Miteigentum am Jalpuk-See für sich. Palmerston bestand darauf, dass die Grenze weiterhin an dem alten Dorf vorbeiführen solle, denn schließlich sei es einer der Vertragszwecke gewesen, den Russen den Zugang zur Donau zu verwehren. Er drängte die Franzosen, standhaft zu bleiben und mit den Briten eine gemeinsame Front gegen die Russen zu bilden, die sonst aus ihren Differenzen Profit schlagen würden. Die Franzosen aber waren gern bereit, den russischen Anspruch anzuerkennen, schlugen dann allerdings vor, dass die Grenze an einem schmalen Landstreifen zwischen dem Marktflecken und dem Jalpuk-See entlangführen solle, wodurch den Russen zwar ein größeres Territorium zugebilligt, der Zugang zum See jedoch versperrt wurde. Wiederum traten die Franzosen als Vermittler zwischen Russland und Großbritannien auf.
Gegen Mitte November konnte der Duc de Morny schließlich Außenminister Gortschakow überreden, den russischen Anspruch auf die Schlangeninsel aufzugeben, wofür Russland im Gegenzug Neu-Bolgrad – ohne Zugang zum See – sowie eine vom französischen Kaiser zu bestimmende territoriale Entschädigung erhalten sollte. Der Handel wurde mit dem (mit Mornys Hilfe in St. Petersburg formulierten) Vorschlag des Zaren und Gortschakows verknüpft, eine frankorussische Abmachung über den Schutz der Neutralität des Schwarzen Meeres und der Donaufürstentümer zu schließen. Letzteres war zwar bereits im Pariser Vertrag vorgesehen, nun aber, so behaupteten die Russen, sei eine solche Abmachung dadurch erforderlich geworden, »dass der Vertrag durch England und Österreich gebrochen wurde « , die versucht hätten, die Russen um legitime Besitztümer in der Donaugegend »zu betrügen « . Morny legte Napoleon den russischen Vorschlag ans Herz und übermittelte ihm ein Versprechen Gortschakows: Russland werde französische Gebietsgewinne auf dem europäischen Kontinent unterstützen, wenn Frankreich die Abmachung unterzeichne. »Man muss im Auge behalten « , schrieb Morny, »dass Russland die einzige Macht ist, die Territorialgewinne Frankreichs ratifizieren wird. Dessen bin ich bereits versichert worden. Versuchen wir nur, das Gleiche bei den Engländern zu erreichen! Und wer weiß, bei unserem anspruchsvollen und launenhaften Volk ist es möglich, dass wir uns eines Tages zu seiner Zufriedenstellung an Russland wenden müssen .« Einzelheiten der russischen Haltung zu französischen Gebietsgewinnen waren in einer Geheimanweisung an den Grafen Kisseljow dargelegt worden, den früheren Gouverneur der Donaufürstentümer, der nach dem Krimkrieg Botschafter in Frankreich geworden war; das Protokoll verlangte, dass ein hoher Staatsmann die neue Freundschaftspolitik des Zaren gegenüber Frankreich repräsentierte. Sollte Napoleon seine Aufmerksamkeit auf die italienische Halbinsel richten, so ließ man Kisseljow wissen, werde Russland »der Wiedervereinigung von Nizza und Savoyen mit Frankreich im voraus zustimmen, genauso wie der Vereinigung der Lombardei mit Sardinien « . Falls sich Napoleons Ambitionen dem Rhein zuwandten, werde Russland »seine Beziehungen nutzen « , um den Franzosen zu helfen, jedoch weiterhin seine Verpflichtungen gegenüber Preußen erfüllen. 29
Durch eine Konferenz von Vertretern der beteiligten Staaten in Paris wurden die beiden Streitpunkte im Januar 1857 rasch beigelegt: Man bestätigte das türkische Eigentum an der Schlangeninsel und setzte eine internationale Kommission zur Beaufsichtigung des Leuchtturms ein; Neu-Bolgrad wurde der Moldau zugewiesen, wofür man Russland durch eine Grenzänderung anderswo in Bessarabien entschädigte. Dem Anschein nach war Russland in beiden Fällen zu einem Rückzieher gezwungen worden, doch in Wirklichkeit hatte es durch die Schwächung des Krim-Bündnisses einen politischen Sieg errungen. Die Franzosen hatten deutlich gemacht, dass sie die Integrität des Osmanischen Reiches für zweitrangig hielten und bereit waren, im Verein mit Russland die europäischen Grenzen neu zu ziehen.
In den folgenden achtzehn Monaten erschien eine Reihe hochrangiger russischer Besucher in Frankreich. Im Jahr 1857 unternahm Großfürst Konstantin – der jüngere Bruder des Zaren und der Admiral, der für die nach dem Krimkrieg dringend erforderliche Reform der russischen Flotte zuständig war – eine Reise nach Paris. Er hatte entschieden, dass eine Partnerschaft mit Frankreich die beste Möglichkeit für Russland bot, die
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