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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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internationale Landschaft kaum noch wiederzuerkennen war: Napoleon III . befand sich nach seiner Absetzung durch die Kräfte der Dritten Republik im englischen Exil, Österreich und Frankreich hatten an Macht und Prestige verloren, und Deutschland und Italien hatten sich als neue Staaten herausgebildet. Damit traten die Probleme und Leidenschaften des Krimkriegs sehr rasch in den Hintergrund.
    * * *
    Russland büßte durch den Pariser Vertrag zwar nicht viel von seinem Territorium ein, wurde durch ihn aber gleichwohl gedemütigt. Abgesehen von dem Verlust seiner Schwarzmeerflotte und Bessarabiens, verlor es an Ansehen und Einfluss auf dem Balkan und musste die Gewinne aufgeben, die es in der Orientalischen Frage seit dem 18. Jahrhundert erzielt hatte. Erst nach 1945 konnte Russland die beherrschende Position, die es in Europa eingenommen hatte, zurückgewinnen.
    Die Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres war, strategisch gesehen, ein schwerer Schlag für Russland, das nun nicht mehr in der Lage war, seine verletzlichen südlichen Küstengrenzen gegen die britische oder irgendeine andere Flotte zu verteidigen, falls der Sultan sie im Kriegsfall zu Hilfe rief. Die Zerstörung der russischen Schwarzmeerflotte, Sewastopols und anderer Marinestützpunkte war entwürdigend, denn nie zuvor hatte man eine Großmacht zur Abrüstung gezwungen. Nicht einmal Frankreich hatte nach den Napoleonischen Kriegen auf seine Waffen verzichten müssen. Die Behandlung Russlands war beispiellos für das Konzert der Nationen, welches eigentlich dem Grundsatz folgte, dass keine Großmacht durch andere gedemütigt werden sollte. Die Alliierten waren freilich gar nicht der Meinung, es mit einer europäischen Macht zu tun zu haben, sondern sie betrachteten Russland als einen halb asiatischen Staat. Während der Verhandlungen auf dem Pariser Kongress hatte sich Walewski bei den britischen Delegierten erkundigt, ob es keine zu große Demütigung für die Russen sei, wenn die Westmächte Konsuln zur Kontrolle der Abrüstung in ihren Schwarzmeerhäfen einsetzten. Cowley hielt diesen Gedanken für abwegig und wies darauf hin, dass China nach dem Ersten Opiumkrieg durch den Vertrag von Nanking ähnliche Bedingungen auferlegt worden seien. 34
    In Russland selbst waren die Streitkräfte durch die Niederlage auf der Krim diskreditiert worden, was die Notwendigkeit verdeutlichte, die Verteidigung des Landes nicht nur in streng militärischem Sinne, sondern auch durch den Bau von Eisenbahnen, durch Industrialisierung, ein solides Finanzwesen und so weiter zu modernisieren. Das Kriegsministerium verlor die Vorrangstellung, die es unter Nikolaus I. im Regierungssystem eingenommen hatte, und trat hinter Finanz- und Innenministerium zurück, wenngleich es zwangsläufig weiterhin den Löwenanteil der Staatsausgaben einstrich.
    Das Bild, das sich viele Russen von ihrem Land – als dem größten, reichsten und mächtigsten der Welt – gemacht hatten, war plötzlich zerstört. Die Rückständigkeit Russlands war bloßgestellt worden, und aus sämtlichen Gesellschaftskreisen hörte man Rufe nach Reformen. Alles wurde nun hinterfragt. Die Krim-Katastrophe hatte die Mängel aller russischen Institutionen sichtbar werden lassen – nicht nur die Korruption und Inkompetenz der Militärführung, die technologische Rückschrittlichkeit der Armee und der Flotte, die unzulänglichen Straßen und fehlenden Eisenbahnen, welche die chronischen Nachschubprobleme verursachten, sondern auch die klägliche Situation und das Analphabetentum der Leibeigenen, aus denen die Streitkräfte bestanden hatten, die Unfähigkeit der Leibeigenenwirtschaft, einen Staat im Krieg gegen die Industriemächte aufrechtzuerhalten, und die Versäumnisse der Autokratie selbst. Kritiker konzentrierten sich auf Nikolaus I., dessen arrogante und halsstarrige Politik das Land in den Ruin geführt und so viele Leben gekostet habe. »Die öffentliche Meinung spricht inzwischen nur noch voller Verachtung über Nikolaus « , notierte Tjutschewa in ihrem Tagebuch.
    Mit jedem neuen Rückschlag verbindet man bittere Vorwürfe an seine Person. Man klagt ihn an, eine rein persönliche Politik betrieben zu haben, mit der er um seines eigenen Stolzes und Ruhmes willen die historischen Traditionen Russlands verleugnete, unsere Brüder, die orthodoxen Slawen, im Stich ließ und sich selbst zum Gendarmen Europas machte, wohingegen er dem Osten und der Kirche neues Leben hätte bringen können und sollen.
    Sogar die

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