Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
zur Armee oder zur Marine meldete, die Freiheit versprochen habe. Als man sie abwies, war es zu Zusammenstößen mit Soldaten und Polizisten gekommen. Nach dem Krimkrieg stiegen die Erwartungen, dass man die Leibeigenschaft aufheben werde. In den ersten sechs Jahren von Alexanders Herrschaft ereigneten sich 500 Bauernaufstände und - streiks gegen den Landadel. 39
Der neue Zar glaubte, dass die Befreiung der Leibeigenen notwendig sei, um eine Revolution zu verhindern. »Es ist besser, die Leibeigenschaft von oben abzuschaffen, als auf die Zeit zu warten, da sie sich selbst von unten abschafft « , ließ er eine Gruppe Moskauer Adliger 1856 wissen. Durch die Niederlage im Krimkrieg war Alexander zu dem Schluss gelangt, dass Russland erst dann mit den westlichen Staaten konkurrieren konnte, wenn es seine alte Leibeigenenwirtschaft aufgab und sich modernisierte. Der Landadel hatte kaum eine Ahnung, wie er einen Profit auf seinen Gütern erwirtschaften konnte. Die meisten seiner Vertreter wussten so gut wie nichts über Landwirtschaft und Buchführung. Gleichwohl waren ihre Ausgaben so üppig wie immer, so dass sie enorme Schulden anhäuften. Um 1859 waren ein Drittel der Güter und zwei Drittel der Leibeigenen, die dem Landadel gehörten, an den Staat und an Adelsbanken verpfändet. Das wirtschaftliche Argument für die Befreiung der Leibeigenen war inzwischen unwiderlegbar, und viele Gutsbesitzer gingen wohl oder übel zu einem freien Arbeitsmarkt über, indem sie Leibeigene von anderen Eignern unter Vertrag nahmen. Da die Auslösegelder der Bauern die Tilgung der Adelsschulden ermöglichen würden, lag die wirtschaftliche Logik der Abschaffungspläne auf der Hand. ****
Im Jahr 1858 ernannte der Zar eine Sonderkommission, die im Einvernehmen mit Provinz-Adelskomitees Vorschläge für die Befreiung der Leibeigenen erarbeiten sollte. Bedrängt von unverbesserlichen Landjunkern, welche die Reformen einschränken und die Regeln für die Grundstücksübertragung zu ihren Gunsten manipulieren wollten, wurde die Kommission fast zwei Jahre lang von politischem Hickhack in Anspruch genommen. Am Ende setzten sich die gemäßigten Reformer dem reaktionären Landadel gegenüber durch, was sie in nicht geringem Maße der persönlichen Intervention des Zaren zu verdanken hatten. Das Edikt zur Aufhebung der Leibeigenschaft wurde von Alexander am 19. Februar 1861 unterzeichnet und den Bauern von ihren Gemeindepriestern vorgelesen. Allerdings war es weniger einschneidend, als die Zuhörer erwartet hatten. Das Edikt ließ den Gutsbesitzern erheblichen Spielraum bei der Auswahl des Landes, dessen Besitz sie den Bauern übertrugen, und bei der Festsetzung der Auslösegebühren, welche die Gemeinden aufbringen mussten, während die Bauern damit gerechnet hatten, ihre Grundstücke kostenlos zu erhalten. ***** In vielen Gegenden kam es zu Rebellionen, manchmal als Reaktion auf Gerüchte, die besagten, dass das veröffentlichte Gesetz nicht das sei, welches der Zar hatte unterzeichnen wollen, sondern eine Fälschung durch Adlige und Beamte. Deren Absicht sei es, die wahre Befreiung in Form des lang ersehnten »Goldenen Manifests « zu verhindern, mit dem der Zar die Leibeigenschaft beenden und den Bauern den gesamten russischen Boden übereignen wolle.
Trotz der Enttäuschung der Bauern markierte dieses Edikt eine wichtige Zäsur. Endlich war der Mehrheit der Menschen eine gewisse Freiheit gewährt worden, wie begrenzt diese auch in der Praxis sein mochte, und es gab Gründe, auf eine nationale Wiedergeburt zu hoffen. Manche Autoren verglichen das Edikt mit der Bekehrung Russlands zum Christentum im 10. Jahrhundert. Sie sprachen davon, dass das junge Russland sich von den Sünden der Vergangenheit befreien müsse, denn die damaligen Reichtümer seien mit dem Schweiß und Blut des Volkes erkauft worden, und davon, dass Grundbesitzer und Bauer ihre alten Gegensätze überwinden und sich durch ihre gemeinsame Nationalität miteinander versöhnen müssten. Denn wie Fjodor Dostojewski 1861 schrieb: »Jeder Russe ist zuallererst Russe .« 40
Neben der Aufhebung der Leibeigenschaft trug auch die Niederlage im Krimkrieg dazu bei, die Reformpläne des Zaren für die Armee zu beschleunigen. Tolstoi war nicht der einzige Offizier, der während des Krimkriegs entsprechende Vorschläge machte. Im Sommer 1855 pflichtete Graf Fjodor Ridiger, der Kommandeur der Garde-Grenadiere, in einem Memorandum an den Zaren Tolstois Kritik am Offizierskorps
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