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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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großenteils bei. Ridiger führte die damals bevorstehende Niederlage auf die krasse Inkompetenz der Oberbefehlshaber und der Armeeverwaltung zurück. Er riet, Offiziere nicht in der Abhaltung von Paraden und Inspektionen, sondern in Wehrwissenschaft auszubilden und den begabteren größere Verantwortung auf dem Schlachtfeld einzuräumen. Kurz darauf wurden ähnliche Ideen von einem anderen hochrangigen Mitglied des militärischen Establishments, Generaladjutant W. A. Glinka, geäußert, der auch das Nachschubsystem der Armee kritisierte. Daneben wurden Vorschläge für den Bau von Eisenbahnen laut, deren Fehlen nach allgemeiner Einschätzung einer der Hauptgründe für die Nachschubprobleme des Militärs im Krimkrieg gewesen war. 41
    Der Zar setzte eine »Kommission zur Verbesserung des Militärbereichs « unter General Ridiger ein, zauderte dann jedoch, die von ihr vorgeschlagenen Reformen, die er offensichtlich befürwortete, umzusetzen. Dabei billigte er bereits im Januar 1857 Pläne für ein Eisenbahnnetz, das Moskau und St. Petersburg mit den wichtigsten Agrarzentren und den Grenzgebieten verbinden sollte. Alexander fürchtete eine Reaktion der Aristokratie zu einem Zeitpunkt, als er deren Unterstützung für die Aufhebung der Leibeigenschaft benötigte. Er berief General Nikolai Suchosanet, der für seine Loyalität und militärische Unfähigkeit bekannt war, zum Kriegsminister. Dieser ließ eine Reihe halbherziger Reformen durchführen, in erster Linie geringfügige Gesetzesänderungen zur Modifizierung der Gardeuniformen, doch war er auch für zwei Initiativen von größerer Tragweite zuständig: für eine Revision des Militärstrafrechts, durch welche die maximal zulässige Zahl von Peitschenhieben bei einer Prügelstrafe von 6000 auf 1500 verringert wurde (was immer noch ausreichte, jeden Soldaten zu töten); und für Maßnahmen, welche die Schul- und Militärausbildung der Bauernsoldaten verbessern sollten, die fast ausnahmslos des Lesens und Schreibens unkundig und damit für die moderne Kriegführung untauglich waren, wie der Krimkrieg deutlich gezeigt hatte.
    Diese Versuche, die militärische Ausbildung zu verbessern, führten unter anderem zur Gründung einer neuen Zeitschrift, Wojenny sbornik (Militärischer Sammelband). Sie sollte Offiziere und Soldaten durch lebhafte, im liberalen Geist der Reformen verfasste Artikel über Wehrkunde und militärische Angelegenheiten, durch Erzählungen, Gedichte und gesellschaftliche Beiträge ansprechen. Ausgenommen von der Militärzensur, war sie ähnlich konzipiert wie Der Soldatenbote , den Tolstoi 1854 vorgeschlagen hatte. Ihr literarischer Teil wurde von Nikolai Tschernyschewski betreut, dem Herausgeber der äußerst einflussreichen demokratischen Zeitschrift Der Zeitgenosse , in der Tolstois eigene Arbeiten erschienen waren. Tschernyschewski war seinerseits der Autor des Romans Was tun? (1862), der mehrere Generationen von Revolutionären, darunter Lenin, inspirieren sollte. In den 1860er Jahren hatte der Wojenny sbornik über 5000 Abonnenten und machte, was seine Verkaufszahlen anging, dem Zeitgenossen Konkurrenz. Dies zeigte, dass Reformideen nach dem Krimkrieg in der russischen Armee ein aufgeschlossenes Publikum fanden.
    Der Gedanke, den Wojenny sbornik zu gründen, war von Dmitri Miljutin ausgegangen, der treibenden Kraft hinter den Militärreformen nach dem Krieg. Miljutin hatte als Professor an der Militärakademie gelehrt, seit er 1838 während des Feldzugs gegen Schamil im Kaukasus schwer verwundet worden war. Als brillanter Militäranalytiker machte er sich die Lektionen aus der Niederlage auf der Krim rasch zu eigen: die Notwendigkeit, das Militär nach dem Vorbild der westlichen Streitkräfte, welche die rückständige Leibeigenenarmee Russland so überzeugend geschlagen hatten, zu reformieren und zu modernisieren. Bald hatte er Gelegenheit, diese Lektionen auf die fortdauernden Kämpfe des Zaren im Kaukasus anzuwenden.
    Im Jahr 1856 hatte der Zar seinen langjährigen Vertrauten Fürst A. I. Barjatinski zum Vizekönig des Kaukasus ernannt und ihm Sondervollmachten zur Beendigung des Krieges gegen Schamil erteilt. Barjatinski war dafür, den Einfluss Russlands im Kaukasus und in Zentralasien auszuweiten, um der Beschneidung der russischen Macht in Europa nach dem Krimkrieg entgegenzuwirken. Alexander ließ sich von ihm überzeugen und gab bereits vor der Unterzeichnung des Pariser Vertrags seine Absicht bekannt, den Feldzug gegen die muslimischen

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