Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
St. George’s Church in der Bromley Road in Beckenham, Kent, befindet sich eine weiße Marmortafel in Form einer Schriftrolle mit einem in der Scheide steckenden Schwert dahinter. Darauf steht:
ZUM RUHM GOTTES UND ZUM TEUREN ANGEDENKEN AN HEDLEY VICARS, HAUPTMANN DES 97. REGIMENTS, DER DURCH DEN GLAUBEN AN DAS WORT GOTTES, DASS »DAS BLUT JESU CHRISTI, SEINES SOHNES, REINIGT UNS VON ALLER SÜNDE « , VOM TOD DER SÜNDE AUF DEN WEG DER GERECHTIGKEIT GEGANGEN IST. ER FIEL IN DER SCHLACHT UND SCHLIEF IN JESU NAMEN AM ABEND DES 22. MÄRZ 1855 EIN. UND ER WURDE IM ALTER VON 28 JAHREN VOR SEBASTOPOL BEIGESETZT. 15
Abgesehen von der Heiligsprechung der Soldaten und vom neuen Männlichkeitsideal, schien die gemeinsame Kriegsanstrengung die Möglichkeit der nationalen Einigkeit und Versöhnung zu bieten, die erforderlich waren, um die Klassengegensätze und den industriellen Streit der 1830er und 1840er Jahre zu überwinden. In Dickens’ Zeitschrift Household Words wurde nicht nur Elizabeth Gaskells Nord und Süd (1854) in Fortsetzungen gebracht, ein Roman über das Thema der Beendigung des Klassenkonflikts, sondern darin erschienen auch etliche Werke von Königin Viktorias Lieblingsdichterin Adelaide Anne Procter, darunter »Die Lektion des Krieges « .
Die Herrscher der Nation,
Die Armen an ihrem Tor,
Ebenso begierig der großen
Nachricht leih’n ihr Ohr!
Des armen Mannes ganze Freude,
Des reichen Mannes Fleisch und Blut
An der Krim trostlosen Küsten
Kämpfen Seit an Seit voll Mut. 16
Eine ähnliche Idee findet man in Tennysons poetischem Melodram Maud (1855), wo ein »Bürgerkriegszustand « , geschaffen durch die »Lust auf Gewinn « in der Heimat, einem Ende weicht, in dessen Verlauf der Erzähler den Krieg im Ausland als höhere und frommere Sache einstuft:
Mag es gehn, wie es geht! Mit dem Aufschwung bin ich erwacht
Eines Volks, das ein wenig verloren die Lust am Gold
Und die Liebe zum Frieden, der Schmach uns und Kränkung gebracht,
Ein Greuel, nimmer zu sagen und nimmer zu tragen.
Drum Heil dem Banner, das jetzt sich zum Kampf entrollt!
Manch Licht wird erlöschen und Mancher weinen und klagen
Und Manche, die blutend im brausenden Hader erlagen:
Doch den Riesen ereilt, den Lügner des zürnenden Gottes Gericht;
In manchem Dunkel wird es nun dämmern und tagen,
Manch neuer Name erglänzen in neuem Licht,
Frei an die Sonne der edle Gedanke sich wagen
Und des Volks Herz in einem Verlangen schlagen.
Denn der Friede, der nimmer ein Friede mir schien, er ist aus;
Und jetzt im mäotischen Sumpf, auf den baltischen Fluten,
Aus den Rachen der Festen erblüht in flammenden Gluten
Mit feurigen Kelchen des Kriegs rothblutiger Strauß.
Ob er blüht, ob er bleicht, und der Krieg wie die Windsbraut kracht,
Wir bewiesen, daß brav wir noch sind und beherzt, wo es gilt;
Und ich selbst, wie mir deucht, bin zu besserem Leben erwacht;
Mir frommt’s, daß für Gutes man kämpft, als auf Böses nur schilt.
Eins bin ich mit meinem Volk, und ich falle gern
Versöhnt mit meinem Geschick und dem Willen des Herrn.
Maler griffen das gleiche Motiv auf. In John Gilberts Ihre Majestät die Königin inspiziert die verwundeten Coldstream Guards im Saal des Buckingham-Palasts (1856), einem (leider verloren gegangenen) Gemälde, das so populär war, dass man es noch 1903 als Farblithografie reproduzierte, kommt eine rührende Melancholie in dem Treffen zwischen der Queen und den verwundeten Krim-Helden zum Ausdruck, die auf eine mögliche, nach dem Krieg entstehende Einigkeit zwischen den niedrigsten und den höchsten Bürgern des Landes hindeutet. Auch Jerry Barretts großes Gemälde Königin Viktorias erster Besuch bei ihren verwundeten Soldaten (1856) ist dieser Empfindung gewidmet. Die sentimentale Darstellung der königlichen Familie beim Besuch von Krim-Invaliden im Armeekrankenhaus Chatham war so erfolgreich, dass man nach der ersten Ausstellung in Thomas Agnews Galerie in Piccadilly mehrere tausend Drucke in verschiedenen Editionen, die zwischen drei und zehn Guineen kosteten, verkaufte. 17
Die Königin selbst sammelte fotografische Souvenirs der Krim-Veteranen. Sie beauftragte Berufsfotografen wie Joseph Cundall und Robert Howlett, in verschiedenen Militärkrankenhäusern, darunter Chatham, eine Reihe von Gedenkporträts verstümmelter und verwundeter Soldaten für die königliche Sammlung in Windsor herzustellen. Cundalls und Howletts bemerkenswerte Fotos beeindruckten nicht nur ihre Gönnerin. Durch
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