Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
hauptsächlich durch Straßenschilder und Pub-Namen. Nach dem Krimkrieg war es jahrzehntelang Mode, Mädchen Florence, Alma oder Balaklava und Jungen Inkerman zu nennen. Kriegsveteranen nahmen diese Bezeichnungen mit in jeden Winkel der Welt: In Süd-Australien gibt es einen Ort namens Balaklava und einen weiteren in Queensland; man findet Inkermans in West Virginia, Süd- und West-Australien, Queensland, Victoria und New South Wales sowie in Gloucester County, Kanada; Sebastopols existieren in Kalifornien, Ontario, New South Wales und Victoria, und in Neuseeland steht ein Mount Sebastopol; vier Orte namens Alma liegen in Wisconsin, einer in Colorado, zwei in Arkansas und zehn weitere in den übrigen Vereinigten Staaten; vier Almas und ein gleichnamiger See sind in Kanada vorhanden, zwei Orte namens Alma in Australien und ein ebensolcher Fluss in Neuseeland.
Auch in Frankreich stößt man überall auf die Namen der Krim und wird an einen Krieg erinnert, in den 310 000 Franzosen verwickelt waren. Einer von dreien kehrte nicht heim. Paris besitzt eine Alma-Brücke, die 1856 entstand und in den 1970er Jahren erneuert wurde. Heute ist sie hauptsächlich als Schauplatz von Prinzessin Dianas tödlichem Autounfall im Jahr 1997 berühmt. Bis dahin war sie vor allem bekannt für ihre Zuaven-Statue (das Einzige der vier Standbilder, das von der alten Brücke übernommen wurde), mit deren Hilfe die Pariser immer noch den Wasserstand messen (der Fluss wird für unschiffbar erklärt, wenn das Wasser über die Knie des Zuaven steigt). Paris hat eine Place de l’Alma und einen Boulevard de Sébastopol, die beide mit gleichnamigen Metrostationen ausgestattet sind. Ein ganzer Vorort im Süden von Paris, ursprünglich als separate Stadt gebaut, heißt Malakoff (Malachow). Ursprünglich »Neu-Kalifornien « genannt, wurde Malakoff im Jahrzehnt nach dem Krimkrieg auf billigem Steinbruchland im Vanves-Tal von Alexandre Chauvelot erschlossen, dem erfolgreichsten Bauunternehmer im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Chauvelot profitierte von der kurzfristigen französischen Mode, des Krimkriegs zu gedenken, indem er Lustgärten in dem neuen Vorort anlegte, um dessen Reiz für Handwerker und Arbeiter aus dem überfüllten Pariser Zentrum zu erhöhen. Die Hauptattraktion der Gärten war der Malakoff-Turm, ein der russischen Bastion nachgebildetes Schloss in einem Themenpark aus Schützengräben, Hügeln, Redouten und Grotten. Außerdem gab es einen Orchesterpavillon und ein Freilufttheater, wo in den Sommermonaten große Zuschauermengen zusammenkamen, um sich Inszenierungen der Krim-Schlachten und andere Veranstaltungen anzusehen. Mit Napoleons ausdrücklicher Genehmigung wurde Neu-Kalifornien 1858 in Malakoff umbenannt, um den ersten großen militärischen Sieg seines Regimes zu unterstreichen. Der Vorort, der aus Häusern auf Privatgrundstücken bestand, wuchs während der 1860er Jahre sehr rasch. Nach der Niederlage Frankreichs gegen Preußen im Jahr 1870 wurde der Malakoff-Turm jedoch auf Befehl des Bürgermeisters von Vanves zerstört, der das Gebäude für ein grausames Andenken an eine glorreichere Vergangenheit hielt.
Überall in der französischen Provinz wurden Malakoff-Türme in Ortschaften und Dörfern gebaut. Viele haben sich bis heute erhalten. Es gibt solche Türme in Sivry-Courtry (Seine-et-Marne), Toury-Lurcy (Nièvre), Sermizelles (Yonne), Nantes und Saint-Arnaud-Montrond (Cher) sowie in Belgien (in Dison und Hasard-Cheratte bei Lüttich), Luxemburg und Deutschland (Köln, Bochum und Hannover), Algerien (Oran und Algier) und im brasilianischen Recife, das die Franzosen nach dem Krimkrieg kolonisierten. In Frankreich selbst hat fast jeder Ort seine rue Malakoff, und der Name wurde auch öffentlichen Plätzen und Parks, Hotels, Restaurants, Käsesorten, Champagner, Rosen und Chansons verliehen.
Trotz all dieser Hinweise hat der Krieg viel schwächere Spuren im französischen Nationalbewusstsein hinterlassen als im britischen. Die Erinnerung an den Krimkrieg wurde in Frankreich bald überschattet durch den Krieg in Italien gegen die Österreicher (1859), die Expedition nach Mexiko (1862–1866) und, vor allem, durch die Niederlage im französisch-preußischen Krieg. Heute ist der Krimkrieg in Frankreich zu einem »vergessenen Krieg « geworden.
Auch in Italien und in der Türkei wurde er durch spätere Konflikte in den Hintergrund gedrängt und verschwand bald aus den nationalistischen Mythen und Darstellungen, mit denen man
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