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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Pascha * , einem von Reschids reformistischen Protegés. Dieser diente von 1841 bis 1844 als Botschafter in London und dann von 1846 bis 1852 als Außenminister. Danach übernahm er den Posten des Großwesirs von Reschid. Letzterer war so eifersüchtig auf Mehmet Ali, dass er sich Anfang der fünfziger Jahre sogar der muslimischen Opposition gegen die Gleichstellung der christlichen Untertanen des Sultans anschloss, weil er hoffte, seinen Konkurrenten dadurch bremsen zu können. Darüber hinaus wurden die Reformen durch praktische Schwierigkeiten gebremst. Die osmanische Regierung in Konstantinopel war viel zu fern und zu schwach, um Gesetze in einer Gesellschaft zu realisieren, der es an Eisenbahnen, Postämtern, Telegrafen und Zeitungen fehlte.
    Das Haupthindernis war allerdings die Opposition der traditionellen Eliten – der Religionsführer der Millets – , die sich durch die Tanzimat-Reformen bedrängt fühlten. Sämtliche Millets protestierten, besonders die Griechen, und in der armenischen ereignete sich eine Art säkularistischer Putsch, doch am stärksten begehrten die islamischen Führer und Eliten gegen die Reformen auf. Die Gesellschaft war davon geprägt, dass die Interessen der örtlichen Paschas und der muslimischen Geistlichkeit weitgehend auf dem traditionellen Millet-System mit all seinen juristischen und zivilen Benachteiligungen der Christen beruhten. Je intensiver die Hohe Pforte versuchte, auf Zentralisierung und Reform hinzuwirken, desto heftiger schürten diese Führer lokale Ressentiments und reaktionäre muslimische Gefühle gegen einen Staat, den sie wegen seiner zunehmenden Abhängigkeit von Ausländern als »ungläubig« verurteilten. Von ihrem Klerus aufgehetzt, demonstrierten Muslime in vielen Städten gegen die Reformen: Es kam zu Gewalttaten an Christen, Kirchen wurden zerstört, und es gab sogar Drohungen, das lateinische Viertel in Konstantinopel niederzubrennen.
    Stratford Canning, der bekanntlich kein Freund des Islams war, sah sich durch diese Reaktion in einem moralischen Dilemma: Konnte Großbritannien weiterhin eine muslimische Regierung unterstützen, die nicht in der Lage war, die Verfolgung ihrer christlichen Bürger zu verhindern? Im Februar 1850 geriet er in Verzweiflung, nachdem er von »grausamen Massakern« an der christlichen Bevölkerung von Rumelien (einer Region, die später zu Bulgarien gehören sollte) erfahren hatte. Er schrieb düster an Außenminister Palmerston, dass »das große Spiel der Verbesserung vorläufig aus ist«.
    Das Hauptübel in diesem Land ist die dominante Religion … Obwohl völlig erschöpft als Prinzip der nationalen Stärke und als erneuernde Kraft, lebt der Geist des Islamismus, derart entstellt, in der Übermacht der erobernden Rasse und in den Vorurteilen fort, die von einer langen tyrannischen Herrschaft hervorgebracht werden. Es ist wohl keine Übertreibung zu behaupten, dass das Fortschreiten des Reiches zu einer soliden Wiederherstellung seines Wohlstands und seiner Unabhängigkeit am Grad der Befreiung von jener Quelle der Ungerechtigkeit und Schwäche gemessen werden muss.
    Palmerston stimmte zu, dass die Verfolgung der Christen die russische Politik nicht nur herausforderte, sondern sogar rechtfertigte. Seiner Ansicht nach hatte Großbritannien kaum eine andere Wahl, als die Hilfe für die osmanische Regierung einzustellen. In einem Schreiben an Reschid im folgenden November sagte er voraus, dass das Osmanische Reich »verdammt« sei, »durch die Furchtsamkeit, Schwäche und Unschlüssigkeit seines Souveräns und seiner Minister zu fallen. Es liegt auf der Hand, dass wir sehr bald werden erwägen müssen, welch andere Arrangements an seiner Stelle getroffen werden können.« 42
    Der britische Eingriff in die türkische Politik hatte unterdessen eine muslimische Reaktion gegen jegliche westliche Einmischung in osmanische Angelegenheiten hervorgerufen. Anfang der 1850er Jahre war Stratford Canning weitaus mehr als ein Botschafter oder Berater an der Hohen Pforte geworden. Der »Große Elchi« – oder Große Botschafter – , wie man ihn in Konstantinopel nannte, übte einen direkten Einfluss auf die Politik der türkischen Regierung aus. Mehr noch, in einer Zeit, da es keine Telegrafenverbindung zwischen London und der türkischen Hauptstadt gab, weshalb mehrere Monate vergehen konnten, bevor Anweisungen aus Whitehall eintrafen, hatte er erhebliche Freiheit, auf die britische Taktik im Osmanischen Reich einzuwirken. Seine

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