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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Angeblich zeigte sich Nikolaus nach seiner Audienz beim Papst beschämt und verwirrt, denn die Verfolgung der katholischen Ruthenen war seinen Dementis zum Trotz durch Dokumente widerlegt worden, in denen er persönlich die »heiligen Taten« von Semaschko pries.
    Die Geschichte der »Märtyrernonnen« von Minsk wurde erstmals im Mai 1846 von der französischen Zeitung Le Correspondant veröffentlicht und später viele Male in populären Schriften wiederholt. Sie verbreitete sich rasch überall in der katholischen Welt. Russische Diplomaten und Regierungsagenten in Paris versuchten, Makrenas Darstellung der Ereignisse zu diskreditieren, doch durch eine medizinische Untersuchung der päpstlichen Behörden wurde bestätigt, dass man sie tatsächlich jahrelang geschlagen hatte. Die Geschichte hinterließ bei den französischen Katholiken einen bleibenden Eindruck und diente als Illustration dafür, wie der Zar »die Orthodoxie nach Westen vorschob« und Katholiken »mit Waffengewalt« bekehrte. 27 Dies wirkte sich entscheidend auf die französische Meinungsbildung im Disput mit Russland über das Heilige Land aus. *****
    Die Furcht vor religiöser Verfolgung wurde begleitet von der Angst, dass ein gigantisches Russland die europäische Kultur hinwegfegen könne. Einer von Czartoryskis Mitexilanten, Graf Valerian Krasinski, hatte in einer Reihe von Schriften vor den Gefahren für den Westen gewarnt, die ein Russisches Reich, das sich von der Ostsee und der Adria bis zum Pazifik erstrecke, verursachen könne. »Russland ist eine aggressive Macht«, erklärte Krasinski in einem seiner populärsten Bücher, »und ein einziger Blick auf seine Neuerwerbungen im Lauf eines Jahrhunderts genügt, um diese Tatsache zweifelsfrei zu untermauern.« Seit der Zeit Peters des Großen habe sich Russland mehr als die Hälfte von Schweden, polnische Gebiete von der Größe des Österreichischen Reiches, türkische Ländereien, die größer als das Königreich Preußen seien, und persische Territorien mit den Ausmaßen Großbritanniens einverleibt. Seit der ersten polnischen Teilung von 1772 habe Russland seine Grenze um 1370 Kilometer in Richtung Wien, Berlin, Dresden, München und Paris vorgeschoben, um 520 Kilometer nach Konstantinopel, bis auf ein paar Kilometer an die schwedische Hauptstadt heran, und es habe die polnische Hauptstadt besetzt. Die einzige Möglichkeit, den Westen vor dieser russischen Bedrohung zu schützen, sei die Wiederherstellung eines starken und unabhängigen polnischen Staates. 28
    Die Einschätzung russischer Aggressivität wurde in Frankreich durch den Marquis de Custine verstärkt, dessen lesenswerter Reisebericht La Russie en 1839 die europäische Einstellung gegenüber Russland im 19. Jahrhundert stärker prägte als jede andere Veröffentlichung. Diese Eindrücke und Reflexionen des Adligen von einer Russlandreise erschienen 1843 in Paris, wurden viele Male neu aufgelegt und entwickelten sich rasch zu einem internationalen Bestseller. De Custine hatte sich mit dem erklärten Ziel nach Russland aufgemacht, ein populäres Reisebuch zu schreiben und sich einen Namen als Autor zu machen. Vorher hatte er sich ohne großen Erfolg an Romanen und Theaterstücken versucht, weshalb die Reiseliteratur ihm die letzte Chance bot, sich eine Reputation aufzubauen.
    Der Marquis war frommer Katholik und hatte viele Freunde in der Hôtel-Lambert-Gruppe. Durch einen seiner polnischen Bekannten, dessen Halbschwester als Hofdame in St. Petersburg weilte, erhielt er Zugang zu den höchsten Kreisen der russischen Gesellschaft und wurde sogar vom Zaren empfangen, womit das westliche Interesse an seinem Buch garantiert war. De Custines Sympathien für Polen sorgten dafür, dass er von Anfang an Vorurteile gegenüber Russland hegte. In St. Petersburg und Moskau verbrachte er viel Zeit in Gesellschaft liberaler Adliger und Intellektueller (von denen mehrere zur katholischen Kirche übergetreten waren), die über die reaktionäre Politik von Nikolaus I. zutiefst enttäuscht waren. Die Unterdrückung des polnischen Aufstands – nur sechs Jahre nach der Niederschlagung der Dekabristenrevolte in Russland – hatte diese Männer die Hoffnung aufgeben lassen, dass ihr Land je den westlichen konstitutionellen Weg einschlagen würde. Ihr Pessimismus dürfte seine Spuren in de Custines finsteren Ansichten über das zeitgenössische Russland hinterlassen haben. Alles daran erfüllte den Franzosen mit Verachtung und Entsetzen: der Despotismus

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