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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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des Zaren, die Untertänigkeit der Aristokraten, die im Grunde selbst kaum mehr als Sklaven waren, ihre anmaßenden europäischen Sitten, die lediglich einen dünnen kulturellen Schleier bildeten, hinter dem sie ihr asiatisches Barbarentum vor dem Westen verbargen, der Mangel an individueller Freiheit und Würde sowie schließlich die Scheinheiligkeit und Verachtung der Wahrheit, welche die Gesellschaft zu durchdringen schienen. Wie viele Russlandreisende vor ihm war der Marquis erstaunt über die gewaltigen Dimensionen all dessen, was die Regierung hatte bauen lassen. St. Petersburg selbst sei »ein Denkmal, geschaffen, um die Ankunft Russlands auf der Weltbühne zu verkünden«. Er hielt diesen Prunk für den Ausdruck des russischen Ehrgeizes, den Westen zu überholen und zu beherrschen. Russland, so de Custine, beneide Europa und empfinde ihm gegenüber Groll, »wie der Sklave seinem Herrn grollte«, und darin liege die Gefahr seiner Aggressivität:
    Ein maßloser ungeheurer Ehrgeiz, ein Ehrgeiz, der nur in der Seele der Unterdrückten aufkeimen, sich nur durch das Unglück einer ganzen Nation nähren kann, gährt in dem Herzen des russischen Volkes. Diese wesentlich erobernde, in Folge von Entbehrungen habsüchtige Nation büßt im Voraus in der Heimath durch erniedrigende Unterthänigkeit die Hoffnung ab, die Tyrannei über andere auszuüben; der Ruhm, der Reichthum, den sie erwartet, läßt sie die Schmach vergessen, die sie erträgt, und um sich reinzuwaschen von der gotteslästerlichen Aufopferung jeder öffentlichen und persönlichen Freiheit, träumt sie, die Sclavin, kniend von der Weltherrschaft.
    Russland scheine dazu »bestimmt zu sein, die schlechte Zivilisation Europas durch einen neuen Einfall zu strafen«. Es diene dem Westen als Warnung und als Lektion, und Europa werde seiner Barbarei erliegen, »wenn unsere Extravaganzen und Ungerechtigkeiten uns einer solchen Züchtigung wert machen«. In der berühmten letzten Passage seines Buches schloss de Custine:
    Man muß in dieser Einsamkeit ohne Ruhe, in diesem Kerker ohne Muße, den man Rußland nennt, gelebt haben, um ganz die Freiheit zu fühlen, die man in den anderen Ländern Europas genießt … Ist Ihr Sohn unzufrieden in Frankreich, so wenden Sie mein Mittel an; sagen Sie zu ihm: reise nach Rußland. Diese Reise ist jedem Ausländer von Nutzen; wer dieses Land recht genau besehen hat, wird in jedem andern zufrieden leben. 29
    Innerhalb weniger Jahre nach seiner Erstveröffentlichung erlebte La Russie en 1839 mindestens sechs Auflagen in Frankreich; es wurde als Raubdruck in mehreren anderen Versionen in Brüssel herausgebracht, ins Deutsche, Dänische und Englische übersetzt und in verkürzter Form in verschiedenen anderen europäischen Sprachen gedruckt. Insgesamt wurden wahrscheinlich mehrere Hunderttausend Exemplare verkauft, wodurch das Buch kurz vor dem Krimkrieg zu dem mit Abstand beliebtesten und einflussreichsten Werk eines Ausländers über Russland wurde. Der Schlüssel zu seinem Erfolg bestand darin, dass es die Ängste und Vorurteile gegenüber Russland, die damals in Europa im Schwange waren, zum Ausdruck brachte.
    Überall auf dem Kontinent war man zutiefst besorgt über das rasche Wachstum und die Militärmacht Russlands. Der Einmarsch nach Polen und in die Donaufürstentümer, verbunden mit der zunehmenden russischen Bedeutung auf dem Balkan, ließen die Furcht vor einer slawischen Bedrohung der westlichen Kultur aufkommen, wie sie La Russie artikuliert hatte. Insbesondere in den deutschen Ländern, in denen de Custines Buch ein sehr positives Echo fand, war in der Pamphletpresse vielfach zu lesen, dass sich Nikolaus zum Kaiser der Slawen in ganz Europa aufwerfen wolle und dass die deutsche Einheit nicht ohne einen Krieg, durch den Russland zurückgedrängt werden müsse, zu erreichen sei. Derlei Gedanken wurden durch das Erscheinen von Russland und die Zivilisation weiter genährt, einer anonym veröffentlichten Schrift, die in den frühen dreißiger Jahren in verschiedenen deutschen Ausgaben herauskam und 1840 als Werk von Graf Adam Gurowski ins Französische übersetzt wurde. Als eine der frühesten publizierten Ausdrucksformen der panslawistischen Ideologie erregte sie heftige Diskussionen auf dem Kontinent. Gurowski behauptete, in der europäischen Geschichte habe es bis dahin nur zwei Kulturen gegeben, die lateinische und die deutsche, doch die Vorsehung habe Russland die göttliche Mission übertragen, der Welt eine

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