Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
dritte – slawische – Kultur zu bescheren. Unter deutscher Herrschaft seien sämtliche slawischen Nationen (Tschechen, Slowaken, Serben, Slowenen und so weiter) im Niedergang begriffen, aber sie würden unter russischer Führung vereinigt und neu belebt und schließlich die beherrschende Rolle auf dem Kontinent spielen. 30
In den vierziger Jahren richteten sich die westlichen Ängste vor dem Panslawismus insbesondere auf den Balkan, wo der russische Einfluss zu wachsen schien. Die Österreicher waren misstrauisch gegenüber den Plänen Russlands in Serbien und den Donaufürstentümern, genau wie die Briten, die Konsulate in Belgrad, Braila und Jassy einrichteten, um ihren eigenen Handel zu fördern und Russland im Auge zu behalten. Ein Anlass zu besonderer Besorgnis war dessen Einmischung in die serbische Politik. Im Jahr 1830 hatte Serbien Selbstverwaltung unter osmanischer Oberhoheit errungen; zugleich wurde Miloš Obrenović als Erbfürst eingesetzt. Die »russische Partei« in Belgrad – Slawophile, die sich wünschten, dass Russland eine aggressivere Außenpolitik zugunsten der Balkanslawen einschlug – fand rasch Zuspruch bei serbischen Honoratioren, der Geistlichkeit, der Armee und sogar bei Mitgliedern des Fürstenhofes, die Milo š’ diktatorische Politik missbilligten. Die Briten unterstützten daraufhin sein Regime, weil sie meinten, dass ein probritischer Despot einer von Russland kontrollierten Oligarchie aus serbischen Würdenträgern vorzuziehen sei, und sie drängten den Fürsten, seine Position durch Verfassungsreformen zu stärken. Russland bedrohte Miloš jedoch mit einer Rebellion und presste den osmanischen Behörden im Jahr 1838 ein sogenanntes Organisches Statut als Alternative zum britischen Verfassungsmodell ab. Das Statut gewährte Bürgerfreiheiten, sah jedoch keine gewählten Versammlungen vor, die der Macht des Fürsten stärker entgegengewirkt hätten, sondern auf Lebenszeit ernannte Staatsräte. Da die meisten Staatsräte prorussisch eingestellt waren, konnte der Zar in den vierziger Jahren erheblichen Druck auf die serbische Regierung ausüben. 31
Die Motive des Zaren auf dem Balkan waren schwer zu ergründen. Er behauptete, jegliche panslawistische oder nationalistische Bewegung abzulehnen, welche die legitimen Souveräne des Kontinents, darunter auch die Osmanen und Milo š , in Frage stellte. Seine Intervention auf dem Balkan diene lediglich dazu, die Möglichkeit zu nationalen Revolutionen auszulöschen, die auf die slawischen Völker unter seiner eigenen Herrschaft (insbesondere die Polen) übergreifen könnten. In seiner Heimat verurteilte er die Panslawisten offen als gefährliche Liberale und Revolutionäre. »Hinter dem Mitgefühl mit der Unterdrückung der Slawen in anderen Staaten«, schrieb er, »verbergen sie die rebellische Idee der Vereinigung mit diesen Stämmen, trotz deren legitimer Zugehörigkeit zu benachbarten und verbündeten Staaten; und sie erwarten, dass dies nicht durch Gottes Willen, sondern durch gewalttätige Versuche herbeigeführt wird, die den Untergang Russlands selbst nach sich ziehen werden.« 32 Die »russische Partei« wurde von Nikolaus als große Gefahr eingeschätzt und in den dreißiger und vierziger Jahren aufmerksam von der Dritten Abteilung, das heißt der Geheimpolizei, beobachtet. Im Jahr 1847 schloss die Polizei die Bruderschaft der heiligen Kyrill und Method, das Zentrum der panslawistischen Bewegung in Kiew. 33
Gleichwohl ging der Zar bei seiner Einhaltung legitimistischer Grundsätze pragmatisch vor. Er wandte sie auf christliche, jedoch nicht unbedingt auf muslimische Staaten an, wenn dies die Parteinahme gegen orthodoxe Christen erfordert hätte, wie er durch seine Hilfe für die im Osmanischen Reich rebellierenden Griechen demonstrierte. Im Lauf der Jahre legte Nikolaus mehr Gewicht auf die Verteidigung der orthodoxen Religion und der Interessen Russlands – die seiner Meinung nach so gut wie identisch waren – als auf das Europäische Konzert oder auf die internationalen Prinzipien der Heiligen Allianz. Während er also die reaktionäre Ideologie der Habsburger teilte und ihr Reich unterstützte, hinderte ihn dies nicht daran, die nationalistischen Gefühle der rechtgläubigen Serben, Rumänen und Ukrainer innerhalb des Österreichischen Reiches zu fördern. Seine Haltung gegenüber den katholischen Slawen unter der Habsburger Herrschaft (Tschechen, Slowenen, Slowaken, Kroaten und Polen) war dagegen weniger
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