Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
schwerer machen, diesen »gerechten und notwendigen Krieg« zu führen. Im Kabinett wurde Palmerston von Russell, dem Führer des Unterhauses, und vor allem von Außenminister Clarendon unterstützt, der zu Palmerstons Position umschwenkte, als er die öffentliche Reaktion auf die Vernichtung der türkischen Flotte wahrnahm (die Königin vermerkte am 15. Dezember in ihrem Tagebuch, er sei »aus Furcht vor den Zeitungen kriegerischer geworden, als er war«). »Sie meinen, ich kümmerte mich zu sehr um die öffentliche Meinung«, schrieb er Aberdeen am 18. Dezember, »aber wenn das grässliche Blutbad bei Sinope bekannt wird, werden wir völlig entehrt sein, falls wir nicht aus bloßer Menschlichkeit einschreiten, um weitere derartige Freveltaten zu verhindern.« 30
Da Palmerston das Kabinett verlassen hatte, oblag es Clarendon, die Kriegspartei zu vertreten. Sinope habe gezeigt, dass die Russen »nicht wirklich beabsichtigen, Frieden zu schließen, selbst wenn die Türken annehmbare Bedingungen vorschlagen«, klagte Clarendon gegenüber Aberdeen, weshalb es keinen Zweck habe, weiter mit ihnen zu reden. Er drängte den Premierminister, Sinope als »moralisches Argument« heranzuziehen, um die österreichische Friedensinitiative zurückzuweisen und drastische Maßnahmen gegen Russland einzuleiten. Entschlossen, die Friedensverhandlungen zu untergraben, ließ Clarendon den Türken durch Canning mitteilen, sie sollten eine härtere Position beziehen, und er warnte Buol, dass Österreich zu zögerlich mit Russland umgehe. Es sei zu spät für Gespräche, informierte er Lord Cowley, den britischen Botschafter in Paris; vielmehr sei es an der Zeit für die Westmächte, »Russland als Seemacht im Orient zu vernichten«. 31
Der französische Beistand war unabdingbar für Palmerston und die Kriegspartei im britischen Kabinett. Napoleon wollte Sinope unbedingt als Vorwand für energische Schritte gegen Russland nutzen, teils aus der Erwägung heraus, dass dies eine Gelegenheit war, ein Bündnis mit Großbritannien zu schmieden, und teils aus der Überzeugung, dass ein Kaiser von Frankreich die Erniedrigung seiner Flotte, sollte die russische Aktion ungestraft bleiben, nicht tolerieren dürfe. Am 19. Dezember schlug Napoleon vor, dass die französische und die britische Flotte ins Schwarze Meer eindringen und sämtliche russischen Kriegsschiffe zur Rückkehr nach Sewastopol zwingen sollten. Er drohte sogar damit, dass die Franzosen auf eigene Faust handeln würden, wenn die Briten die Mitwirkung verweigerten. Dies genügte, um Aberdeen widerwillig kapitulieren zu lassen – die Furcht vor einem wiedererstarkenden Frankreich, wenn nicht auch vor Russland, hatte ihm keine Wahl gelassen. Am 22. Dezember vereinbarte man, dass eine gemeinsame Flotte die türkische Schifffahrt im Schwarzen Meer schützen werde. Palmerston kehrte am Heiligabend als unumstrittener Führer der Kriegspartei ins Kabinett zurück. 32
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Die Ursprünge des Krimkriegs sind jedoch nicht zu durchschauen, wenn man lediglich die Motive von Staatsmännern und Diplomaten untersucht. Dies war ein Krieg – der erste in der Geschichte – , der durch den Druck der Presse und der öffentlichen Meinung herbeigeführt wurde. Da die Entwicklung der Eisenbahnen in den 1840er und 1850er Jahren die Entstehung einer nationalen Presse ermöglicht hatte, wurde die öffentliche Meinung zu einem mächtigen Faktor in der britischen Politik, der möglicherweise den Einfluss des Parlaments und des Kabinetts selbst in den Schatten stellte. Die Times , die führende Zeitung des Landes, war lange Zeit eng mit der Konservativen Partei verbunden gewesen, doch sie handelte nun zunehmend so, als wäre sie nichts Geringeres als eine nationale Institution – ein »Vierter Stand« laut Henry Reeve, dem Chef ihrer außenpolitischen Abteilung, der 1855 über seinen eigenen Beruf schrieb: »Der Journalismus ist nicht das Instrument, mit dessen Hilfe sich die verschiedenen Teile der herrschenden Klasse ausdrücken. Vielmehr ist er das Instrument, mit dessen Hilfe die vereinigte Intelligenz der Nation sie alle kritisiert und kontrolliert. In der Tat ist er der › Vierte Stand‹ des Reiches – nicht bloß das geschriebene Gegenstück und die Stimme des sprechenden Dritten Standes.« Der Regierung blieb kaum etwas anderes übrig, als diese neue Realität anzuerkennen. »Ein englischer Minister muss die Zeitungen zufriedenstellen«, klagte Aberdeen, ein Konservativer der alten Schule, der
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