Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
einschließlich Belgiens und Deutschlands, hat das größte Interesse daran, dass die Unversehrtheit und Unabhängigkeit der Pforte für die Zukunft gesichert wird, doch noch wichtiger ist, dass Russland besiegt und bestraft wird.« Sir Henry Layard, der berühmte Assyrologe und Parlamentsabgeordnete, der als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten diente, wollte Krieg führen, bis Russland »verkrüppelt« sei. Stratford Canning meinte, das Reich des Zaren solle »zum Nutzen Polens und anderer beraubter Nachbarn und zur dauerhaften Befreiung Europas vom russischen Diktat« zerbrochen werden. In einem späteren Brief an Clarendon betonte Stratford, dass der Wille Russlands gezügelt werden müsse, nicht nur durch die Eindämmung seines »gegenwärtigen Ausbruchs«, sondern auch »dadurch, dass seine eigene innere Wahrnehmung durch ein Gefühl permanenter Zurückhaltung ergänzt wird«. Das Ziel jeglichen Krieges der europäischen Mächte solle darin bestehen, die russische Gefahr ein für alle Mal zu beseitigen; man müsse die Kämpfe so lange fortsetzen, bis Russland von einer Pufferzone aus unabhängigen Staaten (den Donaufürstentümern, der Krim, Tscherkessien und Polen) umgeben sei, um jenes »Gefühl permanenter Zurückhaltung« zu garantieren. Während sich die Regierung anschickte, Russland den Krieg zu erklären, forderte Russell Clarendon auf, keine Formulierung in die Botschaft der Königin ans Parlament aufnehmen zu lassen, welche die Westmächte auf die bestehenden territorialen Grenzen Europas festlegen würde. 48
Selbst in diesem Stadium zögerte Aberdeen noch, den Krieg zu erklären. Am 26. März, am Tag vor der britischen Bekanntmachung, ließ er die Königin und Prinz Albert wissen, er sei von Palmerston, der die Presse und die öffentliche Meinung auf seiner Seite habe, »in einen Krieg hineingezogen « worden. Drei Monate vorher hatte die Königin Aberdeens Abneigung geteilt, britische Soldaten für die Verteidigung der Türken einzusetzen. Nun jedoch war Viktoria von der Notwendigkeit des Krieges überzeugt, wie sie und Albert dem Premierminister erklärten:
Wir beide wiederholten unsere Ansicht, dass [der Krieg] nun notwendig sei, was er nicht bestreiten konnte, und ich bemerkte, dass wir ihn meiner Meinung nach nicht hätten vermeiden können, wiewohl es Fehler und Unglücksfälle gegeben habe, denn der Macht und den Übergriffen Russlands müsse widerstanden werden. Dies sah er nicht ein und hielt es für ein »Schreckgespenst« – die einzige Macht, die wir zu fürchten hätten, sei Frankreich! Die drei nördlichen Mächte müssten zusammenhalten, obwohl er nicht sagen konnte, auf welcher Grundlage. Natürlich konnten wir ihm nicht beipflichten und sprachen von dem Zustand, in den Deutschland durch Kaiser Nikolaus gebracht worden sei, und von der Unmöglichkeit, die gegenwärtigen Zeiten so zu betrachten wie die früheren. Alles hat sich gewandelt. Lord Aberdeen wollte uns in diesem Punkt nicht zustimmen und sagte, unser Land werde seine Einstellung zum Krieg zweifellos in kurzer Zeit ändern und ganz und gar für den Frieden sein. 49
Was sie mit den Worten »Alles hat sich gewandelt« meinte, ist nicht völlig klar. Vielleicht dachte sie an die Tatsache, dass sich Frankreich dem britischen Ultimatum an die Russen angeschlossen hatte und dass die ersten britischen und französischen Soldaten bereits in Richtung Türkei in See gestochen waren. Oder vielleicht meinte sie wie Albert, dass es an der Zeit sei, die deutschen Staaten in einen europäischen Krieg mit Russland zu verwickeln, dessen Einmarsch in die Fürstentümer eine neue und aktuelle Gefahr für den Kontinent darstellte. Möglicherweise dachte sie aber auch an die fremdenfeindliche Pressekampagne gegen den Prinzgemahl (eine ständige Sorge in ihrem Tagebuch jener Monate) und hatte begriffen, dass ein kurzer siegreicher Krieg der Monarchie die Unterstützung der Öffentlichkeit sichern würde.
An jenem Abend gab die Königin einen kleinen Familienball zur Feier des Geburtstags ihres Cousins, des Herzogs von Cambridge, der bald nach Konstantinopel abreisen würde, um den Befehl über die britische 1. Division zu übernehmen. Graf Vitzthum von Eckstädt, der sächsische Gesandte in London, war zu dem Ball eingeladen worden:
Die Königin nahm aktiv an den Tänzen teil, etwa an einem Scotch Reel mit dem Herzog von Hamilton und Lord Elgin, die beide die Nationaltracht trugen. Da ich Walzer aufgegeben hatte, tanzte die
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